Zur Ermittlung der Faktoren für eine Loslösung von Subventionen von Bund und Kanton, sowie zur Definition endogener und exogener Potenziale in Rheinwald, soll eine konkrete Analyse der bestehenden Strukturen und deren Gegenüberstellung mit den Erkenntnissen aus der Haushaltsrechnung dienen. Demnach wird die Eignung der Gemeinde bzw. der Talgenossenschaft für mögliche neue Aktivitäten und Aufgaben diskutiert, welche für eine subsistenzwirtschaftliche Genossenschaftsstruktur unentbehrlich sind.
Es gibt auf dem ersten Blick wenig Anreize, ein zweifelsfrei gut organisiertes Agrarsystem, bestehend aus vollständig biologischer Milchwirtschaft, deren Markt und deren Direktzahlung und Förderbeiträge durch eine neue Strategie zu ersetzen. Werden aber Ziele wie Subsistenz verfolgt, sind systematische monetäre Direktzahlungen grundsätzlich hinterfragbar, zumal sie von ausserhalb stammen und nicht primär innerhalb der Gemeinschaft generiert werden. Betrachtet man die Wirtschaft innerhalb der Talgenossenschaft als eine ganzheitliche, müsste folglich mittelfristig ein systemisches Gleichgewicht zustande kommen, das dank den eigenen Wertschöpfungen die nötigen Mittel generiert, um die anfallenden Betriebsaufwände oder unvermeidlichen Defizite zu decken.
Voraussetzung dafür ist nicht zuletzt auch die Bereitschaft von Rheinwald und der Wille der Bevölkerung, sich neue oder zusätzliche Tätigkeiten anzueignen. Zum einen sollen dabei geographische, landschaftliche, kulturelle und nicht zuletzt infrastrukturelle sowie architektonische Potenziale angeschaut werden, zum anderen gilt es in einem zusätzlichen Schritt die erwähnte Bereitschaft durch den Dialog mit diversen lokalen Akteuren zu überprüfen.
DIE LANDWIRTSCHAFT UND IHRE BESTEHENDEN GENOSSENSCHAFTEN – Die Landwirtschaft bleibt für Rheinwald ein äusserst wichtiger wirtschaftlicher Sektor. Während anfangs des 20. Jahrhunderts noch rund 55% der Haushalte mit der Rindviehhaltung für ihr Einkommen sorgten,29 scheint die Landwirtschaft im letzten Jahrhundert einen Teil ihrer gesellschaftlichen Bedeutung eingebüsst zu haben. Dennoch bildet sie mit fast einem Drittel der Beschäftigungen in der Gemeinde eine zentrale Tätigkeit der Bevölkerung von Rheinwald.
Die extensive Landwirtschaft von Rheinwald ist mehrheitlich auf die Milchwirtschaft ausgerichtet. Neben der Tatsache, dass diese gesamthaft genossenschaftlich organisiert ist, hat sie für das Tal einen hohen Stellenwert. Innerhalb der Gemeinde erhalten die zwei Sennereigenossenschaften in Splügen und Nufenen ihre Milch von den lokalen Landwirtschaftsbetrieben, um diese als Rohstoff zu Produkten wie Käse, Joghurt oder Butter zu verarbeiten. In erster Linie wird der Käse ausserhalb des Tals erfolgreich vermarktet, was wiederum ermöglicht, den Bäuerinnen und Bauern eine faire Entlohnung für ihre Milch anzubieten.
Die genossenschaftliche Sennerei in Splügen ist im Besitz der lokalen Landwirtschaftsbetriebe und wird vom Betreiber gepachtet. Während letzterer mehr Wert auf die handwerkliche Verarbeitung und ein breite Produktvielfalt legt, übernimmt der Betrieb in Nufenen mit Robotertechnologie und einer Milchleitung von der Alp ins Dorf die Rolle des Vorreiters in Sachen modernisierter Bergkäseherstellung. Dabei sind dort die Milchbäuerinnen und -bauern die eigentlichen Betreiber der Sennerei und die Fachkräfte sind vertraglich angestellt.
Die Wertschöpfung der Sennereibetriebe ist für die gesamte Gemeinde verhältnismässig gross und wirtschaftlich von hoher Bedeutung. Ihre genossenschaftliche Struktur, die biologische Produktionsweise und ihre Erzeugnisse gelten für Rheinwald als lokale Markenzeichen, deren Erfolg nicht zuletzt der Lage von Rheinwald an der Autobahn A13, also der Nord-Süd-Achse zu verdanken ist. Die damit verbundenen logistischen und marktstrategischen Faktoren sind für die Region ein klarer Vorteil, den entsprechende Betriebe in stärker abgelegenen Gegenden oder Sackgassentälern nicht vorweisen können.30
Die sieben bestehenden Alpgenossenschaften und elf Allmenden verfolgen ebenfalls das Ziel der nachhaltigen Milchwirtschaft auf Gemeinschaftsweiden. Beispielsweise unterscheidet sich die Alpgenossenschaft Tällialp nahe Hinterrhein dadurch von den zwei Sennereigenossenschaften unten im Tal, dass ihre Milch und deren Verarbeitung alleine während der Sömmerungszeit auf der ihr zugehörigen Alp abgefertigt wird. Die Alpgenossenschaft Felsberg auf der Alp Tambo im Gebiet von Splügen steht ihrerseits in einem speziellen Verhältnis zu Rheinwald, da die Alp der Gemeinde Felsberg selbst gehört.
Die übrigen Landwirtschaftsbetriebe sind, mit wenigen Ausnahmen für Kleinviehhaltung und Anzucht von Jungtieren, auf die Mutter- und Mastkuhhaltung für die Produktion von Fleisch spezialisiert. Diese Form von Fleischwirtschaft ist in Rheinwald, anders als zum Beispiel der Schlacht- und Verarbeitungsbetrieb Metzga-Viamala im nahe gelegenen Andeer oder die Mazlaria in Vrin, nicht genossenschaftlich organisiert. Die Landwirtschaftsbetriebe vermarkten ihre Produkte in der lokalen Metzgerei in Splügen oder eigenständig über Kanäle bzw. Labels, die der biologischen Produktionsweise entsprechen. Ihr ökonomisches Gewicht ist durch die tiefe Anzahl an spezialisierten Betrieben für Rheinwald deutlich kleiner als jenes der Milchwirtschaft. Dennoch könnte es für eine Eigenversorgung jedes Mitgliedes der Genossenschaft mit Fleischprodukten eine Schlüsselrolle erhalten.
Abseits von diesem partiell genossenschaftlichen Modell ist der gesamte Landwirtschaftszweig von agrarpolitischen Direktzahlungen geprägt. Letztere lassen eine finanzielle Abhängigkeit der Gemeinde von Ausserhalb entstehen und führen dazu, dass Subventionsbeiträge immer Teil der Gesamtrechnung für landwirtschaftliche Erträge sind. Durch die tiefe Verankerung dieses Förderungsmodells des Bundes in der Agrarwirtschaft bleibt so die Frage offen, ob die Förderung von nachhaltiger Landwirtschaft oder monetäre Transferleistungen für Entlohnungen und allgemeine Betriebskosten überhaupt auf einem anderen Weg generiert werden können.
Grundsätzlich werden Direktzahlungen von Bund und Kanton aus den Staatskassen finanziert und beruhen mitunter auf der Bereitschaft der breiten Bevölkerung, landwirtschaftliche Leistungen zu fördern und mitzufinanzieren. Hinsichtlich einer gemeindeweiten genossenschaftlichen Organisation gilt es demnach herauszufinden, ob die nötigen Mittel auch innerhalb der Entität der Talgenossenschaft generiert werden können, um so die Direktzahlungen in einen selbstfinanzierenden Kreislauf einzubinden. Was aus politischer Sicht schwierig umzusetzen scheint, ist in einer Nachbarsgemeinde von Rheinwald partiell der Fall. Der sich auf Gemeindeboden von Sufers befindliche Speicherstausee generiert dank den sogenannten Wasserzinsen entsprechende Einnahmen, die es der Gemeinde ermöglichen, beispielsweise die dorfeigene Sennereigenossenschaft zu subventionieren. Aus lokalökonomischer Sicht erfolgt somit die Unterstützung eines schwächeren, aber dennoch vitalen lokalen Gewerbes durch eines, das sich im Verlauf der Geschichte zu einem stärkeren Gewerbe entwickelt hat.
Wie zu Beginn dieses Kapitels erwähnt, scheint es für Rheinwald kaum Anreize zu geben, ein gut funktionierendes landwirtschaftliches System wie jenes der vorwiegend monokulturellen Milchwirtschaft durch ein anderes zu ersetzen. Bringt man aber eine subsistenzwirtschaftliche Zielsetzung und die gleichzeitige Loslösung von Subventionierungen durch Bund und Kanton mit ins Spiel, ist eine alternative Wirtschaftsform wohl unabdingbar. Aus agronomischer Sicht würde dies auf keinen Fall eine Ersetzung, sondern eine Ergänzung der Milchlandwirtschaft bedeuten.
Konkret könnte dies zum Beispiel eine reduzierte Form von Ackerbau sein, welcher heute im Tal weitgehend fehlt. Wohlbemerkt war der Anbau von Getreide, Kartoffeln oder auch Flachs und Hanf in Rheinwald niemals von hoher Bedeutung und soll auch historisch höchstens zur Eigenversorgung stattgefunden haben.31 Das raue Klima am Hinterrhein und die Ernteunsicherheit ist aber nicht der hauptsächliche Grund dafür. Vielmehr waren während den Jahrhunderten des Säumerwesens genügend finanzielle Mittel vorhanden, um beispielweise Korn aus Italien zuzukaufen.32
Getreideanbau erlebt zwar seit einigen Jahren einen Aufschwung in Bergregionen, aus historischer Sicht ist er in den Alpen jedoch keineswegs neu. In höheren Lagen sind Spuren dieser Anbauform, anders als in milderen und tiefergelegenen Gegenden, oftmals unmittelbar am Fusse von sonnenexponierten Südhängen vorzufinden.33 Topographisch betrachtet trifft man aufgrund der Ost-West Richtung des Tals auch in Rheinwald auf solche Hänge. Wie aktuell an Beispielen der weiter unten am Hinterrhein liegenden Felder in Sufers und hauptsächlich jenen im Schams ersichtlich ist, dient der Getreideanbau dort nicht nur für die Selbstversorgung mit Korn, sondern auch derjenigen von Stroh, welches wiederum für die Viehwirtschaft benötigt wird.
Andere Anbaukulturen wie Flachs, Hanf oder Mohn sind in alpinen Lagen ebenfalls vorzufinden. Wurden in der Geschichte vor allem Garn und Textil daraus gewonnen, sind es heute auch kulinarische und medizinische Produkte wie Öle, die den Anbau dieser Pflanzen attraktiv machen.
Interessant scheint weiter auch die Thematik der Verwertung von Nebenprodukten aus der Käseherstellung wie der Schotte, auch Molke genannt. Während in Nufenen die Schotte eingedickt und an die Lebensmittelindustrie weiterverkauft wird, wird sie in Splügen an die genossenschaftseigenen Schweine verfüttert, die wiederum geschlachtet und unter anderem zu Salsiz verarbeitet werden können. Die Schweine generieren aber auch Dünger, der auf dem Weideland in Rheinwald nicht angewendet werden darf. Deshalb wird dieser als Nebenprodukt an Regionen wie das vorhin erwähnte Schams zu sehr tiefen Preisen verkauft, wo er im Ackerbau verwendet wird. Für die Schweinehaltung muss heute zusätzliche Nahrung zugekauft werden, zum Beispiel Kartoffeln oder Gerste, die womöglich auch innerhalb der Talgenossenschaft angebaut werden könnten.
ENERGIE: BESTEHENDE UND NEUE POTENZIALE – In den 1940er Jahren wurde in der heutigen Gemeinde Rheinwald ein beträchtliches Stauseeprojekt geplant, gegen das sich die Bewohner*innen der betroffenen Dörfer Nufenen, Medels und Splügen damals erfolgreich gewehrt haben. Landesweit erntete die lokale Bevölkerung dafür Kritik, denn sie gab so statt dem damals angepriesenen schweizerischen «Gemeinwohl» ihren eigenen Interessen Vorrang.34 Sie verhinderte dadurch aber glücklicherweise die landschaftliche Prämisse eines Stausees und dessen ökologische Auswirkungen, welche heute noch bei anderen, realisierten Projekten stark hinterfragt oder kritisiert werden.
Aus heutiger Sicht hat sich die Energieproduktion in Rheinwald mehrheitlich in Form von Kleinwasserkraftwerken zur Deckung des Eigenbedarfs etabliert. Auch hier ist ein Teil des Sektors genossenschaftlich organisiert, wie das Beispiel eines kleinen privaten Flusskraftwerks in Hinterrhein zeigt. Andere Kleinkraftwerkunternehmungen sind Aktiengesellschaften mit Beteiligung der Gemeinde und eines Energiekonzerns.
Das Potenzial der Wasserkraft ist in Rheinwald aus subsistenzwirtschaftlicher Sicht deutlich vorhanden. Die Investitionskosten für die grösseren unter den Anlagen bedingten allerdings die erwähnte Beteiligung eines Grosskonzerns, der aber der lokalen Verwaltung eine gewisse Unabhängigkeit im Betrieb der Anlagen gewährt.
Die erbrachte Leistung der Kleinwasserkraftwerke in Rheinwald vermag den Bedarf der Gemeinde vollständig zu decken. Es wäre aber denkbar, dass diese Energieerzeugung in kleinem Masse ausgeweitet wird, um so vom Stromhandel profitieren zu können oder den Bedarf von allfälligen neuen Infrastrukturen decken zu können. Blickt man zum Beispiel auf Karten des Bundes für Wasserkraftpotenzial, fällt auf dem ersten Blick der Hauptwasserlauf, also der Hinterrhein, auf. Der Fluss wird aktuell am schon erwähnten Flusskraftwerk in Hinterrhein genutzt, es scheint aber talabwärts noch weitere Stellen zu geben, die das Potenzial für ähnliche, kleine Anlagen haben könnten. Zu bedenken ist dabei immer auch die ökologische Sicht, zumal solche Kraftwerke nicht ohne Auswirkungen auf die lokale Biosphäre bleiben.
Neben Wasserkraft scheint die eine andere lokale Ressource, die gerade in alpinen Lagen ein verstärktes Potenzial darstellt, eine Gelegenheit zur Ergänzung der Stromproduktion zu bieten; Die Solarenergie. Aktuell sind in Rheinwald diverse Photovoltaik-Anlagen auf Dachflächen installiert, meist bei Ställen und Alpgebäuden. Sie dienen primär dem Eigenverbrauch, die dabei erzeugte Energie könnte aus technischer Sicht aber auch ins Stromnetz gespeist werden.
Die Leistungsfähigkeit einer Photovoltaik-Anlage hängt mitunter von der lokalen Globalstrahlung ab. In Rheinwald ist diese mit Werten zwischen jährlich 1’300 kWh/m2 im Tal und bis 1’500 kWh/m2 in höheren Lagen sehr günstig.35 Zudem beeinflussen die tieferen Aussentemperaturen der alpinen Regionen die Leistung der Anlagen positiv.
Solarenergie stellt somit ein klares Potenzial für die Gemeinde dar, wobei es gewisse Faktoren zu beachten gilt. Nicht zu ignorieren sind im Talbereich bzw. in den Dörfern vor allem Einwände, welche das Ortsbild betreffen. Es ergäbe womöglich wenig Sinn, die Steindächer historischer Bauten mit Photovoltaik zu bedecken, alleine schon, weil diese meist komplexe Dachformen oder Walmdachvolumen aufweisen. So scheint die Installation von Solarwärmekollektoren oder Photovoltaikmodulen an zeitgenössischen Ökonomiebauten sinnvoller, wie dies beispielsweise im Ort Hinterrhein bei einem grossen Teil der Ställe bereits realisiert wurde.
Auch die Möglichkeit für grossflächige, leistungsstärkere Anlagen wäre vorstellbar; es gälte beispielsweise abzuklären, ob die bestehenden infrastrukturellen Bauwerke der Nationalstrasse A13, zum Beispiel die bestehende Lawinenschutzgalerie westlich von Nufenen, eine Gelegenheit für grossflächige PV-Anlagen bieten könnte. Auch die Anwendung von Photovoltaik als Lärmschutzwand ist denkbar. Ein realisiertes Pilotprojekt entlang der A13 besteht bereits seit gut dreissig Jahren in der Nähe von Chur. Im Fall von Rheinwald könnte eine solche Infrastruktur gleichsam einer Erhöhung der lokalen Stromerzeugung sowie der Eindämmung der Schallemissionen für Siedlung und Umwelt dienen.
Weiter könnte in höheren Lagen, wo sowohl die Globalstrahlung stärker, als auch die Temperaturen tiefer sind, die Leistung von PV-Anlagen umso grösser sein. Es besteht auch hier ein mögliches Potenzial, dessen Technik aktuell noch in der Entwicklungsphase steht. Am eidgenössischen Forschungsinstitut für Wald, Schnee und Landschaft wird derzeit die Anbringung von Photovoltaikmodulen an Lawinenverbauungen erforscht.36 Auch in Rheinwald sichern Lawinenverbauungen einige Hänge oberhalb von Siedlungen und Strassenabschnitten. Die Eignung für die Montage von entsprechenden Photovoltaikmodulen an rund zwei Kilometern37 verbauten Lawinenschutz, die an besonnten Hängen stehen, wäre demnach zu überprüfen.
Was die Wärmeerzeugung für Privataushalte betrifft, so sind rund siebzig Erdwärmenutzungen auf Gemeindeboden – gut fünfzig davon in Splügen – dokumentiert. Geothermie scheint somit als nachhaltige Lösung im Tal weit verbreitet zu sein. Grundsätzlich ist diese Form von Wärmenutzung bis auf den Stromverbrauch durch Wärmepumpen autonom. Wird die dafür notwendige Elektrizität innerhalb der Talgenossenschaft erzeugt, entspricht auch Erdwärme im Grunde genommen einer endogenen Ressource.
GANZHEITLICHER TOURISMUS – Neben der Landwirtschaft stellt die Tourismusbranche die meisten und umsatzstärksten Arbeitsstellen in Rheinwald dar. Nicht nur der Bergbahnbetrieb beschäftigt diese Arbeitskräfte, sondern auch eine ganze Reihe an Dienstleistungsbetriebe aus der Gastronomie, Hotellerie und dem Detailhandel. Tagesgäste, Dauergäste und Zweitwohner*innen bringen aber in den Hochsaison-Monaten nicht nur mehr Menschen ins Tal. Es entwickelte sich so auch eine historisch gewachsene Situation, die Rheinwald wirtschaftlich von diesen Gästen abhängig macht.
Für Unsicherheit im Tal sorgt aktuell die Tatsache, dass vier der insgesamt fünf Hotelbetriebe zum Verkauf stehen. Der Grund dafür ist zwar weniger eine Unrentabilität der Betriebe als eine vorsorgliche Suche nach Nachfolger*innen. Dennoch spielt das mittelfristige Weiterbestehen dieser Hotels für Rheinwald eine Schlüsselrolle, da sie zugleich soziale und wirtschaftliche Pfeiler für die Gemeinde sind.
Der Personenverkehr ist für Rheinwald Fluch und Segen zugleich. Denn die gute Anschliessung an die Nationalstrasse A13 und die kurzen Anreisezeiten mit dem Auto bringen auch eine hohe Wetterabhängigkeit und ein erhöhtes wirtschaftliches Risiko mit sich.
Zusätzlich stellt sich die grundsätzliche Frage, in welche mittelfristige Zukunft das existierende Wintersportangebot zielt, wenn diverse Faktoren im Zeitalter der Klimaerwärmung den Skibetrieb vermehrt vor Schwierigkeiten stellen werden. Bereits heute wird der defizitäre Bergbahnbetrieb von der Gemeinde monetär und unternehmerisch unterstützt, was eine nicht unbedeutende finanzielle Belastung darstellt, die letztendlich auf Steuergelder zurückgreift. Diese Unterstützung fällt auf die demokratische Entscheidung der lokalen Bevölkerung zurück, was den gesellschaftlichen Stellenwert dieser Branche im Tal verdeutlicht. Das Ziel der Rheinwaldner*innen scheint somit deutlich die Erhaltung der damit verbundenen Betriebe und Arbeitsplätze zu sein.
Es gibt aber auch durchaus Szenarien, die Rheinwald neue Möglichkeiten eröffnen. Die Anschliessung der Gemeinde im Perimeter des Naturparks Beverin, zusammen mit anderen nördlich gelegenen Regionen, ist ein Beispiel dafür. Dabei wird ein Modell, das aus der Vermarktung von Nachhaltigkeit, Ökologie oder regionalem Handwerk und Produkten auf einen zeitgenössischen Trend setzt. An der konzeptuellen Entwicklung des Parks war unter anderem die Forschungsgruppe für Tourismus und Nachhaltige Entwicklung der ZHAW beteiligt.38 Dadurch, dass diese Institution dem Park immer noch nahesteht, wird dieser auch zum Forschungsobjekt, an dem Ideen und Strategien direkt in die Praxis umgesetzt und überprüft werden können, was wiederum der breiten Akzeptanz des Parks bei der Bevölkerung zu verdanken ist. Die Mitgliedschaft im Naturparkgefüge kann im Falle von Rheinwald als Gegenantwort auf das 2016 gescheiterte Nationalparkprojekt, den Parc-Adula gesehen werden. Das Rheinwald wäre damals dessen östlichster Teil geworden, was die damaligen Gemeinden, bis auf Nufenen, auch mehrheitlich befürworteten.
Es gilt hier vor allem die Begrifflichkeit des Tourismus’ in Relation zum Naturpark Beverin zu verdeutlichen. Kern dieser Debatte ist ein Konzept, das den Tourismus als etwas gesamtheitliches definiert. Als etwas Themenübergreifendes, das sich nicht einseitig auf eine bestimmte Spezialisierung ausrichtet, wie ein alleiniger Fokus auf den Ski- oder Wandertourismus. Eine zentrale Rolle spielt dabei ein sogenannter Ermöglicher-Kreislauf,39 der ein gemeinsames Ziel vorgibt – in diesem konkreten Fall ist dies Nachhaltigkeit – und alle Akteure vor Ort, die diese Haltung freiwillig teilen, miteinschliesst und dabei unterstützt, dieses Ziel zu erreichen. Die Beteiligten reichen von der Bevölkerung über das lokale Gewerbe, Handwerk oder die Landwirtschaft, bis zum Gast, der ein bestimmtes Interesse am Ort und dessen Kulturlandschaft mitbringt. Daraus entsteht ein wirtschaftlicher, aber auch sozialer Austausch, der eine nachhaltige Erhaltung des Kreislaufs innerhalb dieser Regionen ermöglicht.40
Es zeichnet sich also eine neue Rolle für den Tourismus ab. Er wird als etwas themenübergreifendes verstanden und soll die lokale Kulturlandschaft und eine damit verbundene Haltung zum Leben oder Wirtschaften nach Aussen vermitteln. Somit wird Tourismus zum Gefäss für die Interaktion zwischen den lokalen Akteuren und den daran interessierten Gästen, die eine spezifische Beziehung zum kulturellen und geographischen Kontext mit ins Spiel bringen. Das Ziel dieser Interaktion bleibt so nicht alleine ein finanzielles und somit Abhängigkeiten auslösendes, sondern es bezieht einen bereichernden gesellschaftlichen und kulturellen Aspekt mit ein.
Bezüglich einer Haltung kann gerade das Konzept der Talgenossenschaft identitätsstiftend wirken, zumal diese auch die Lebens- und Wirtschaftsweise in Rheinwald umfassen würde. Der Tourismus übernähme dabei weniger die Rolle eines einzelnen wirtschaftlichen Bausteines innerhalb der genossenschaftlichen Struktur, sondern diejenige des Vermittlers innerhalb der Talgenossenschaft, der diese aber auch gegen aussen vertritt, also gegenüber Individuen wie Gäste, Zweitwohner*innen, aber auch Handelspartner*innen, Dienstleister*innen oder sogar Wissenschaftler*innen als exogene Potenziale.
LOKALE KREISLÄUFE – Wie schon Anfangs dieser Arbeit erörtert, gilt es hinsichtlich der Bildung der Talgenossenschaft sämtliche Lebensbereiche in ihre Ökonomie miteinzubeziehen. Dies zieht nach sich, dass die Talgenossenschaft darauf angewiesen ist, dass ihre Mitglieder, ob Individuen oder Betriebe, sich gegenseitig unterstützen und auch Produkte und Leistungen voneinander beziehen. Folglich würde Rheinwald davon leben, dass man – so gut es geht – die lokale Ökonomie vollständig ausnutzt und nur die nicht vorhandenen Ressourcen von ausserhalb bezieht.
Am besten lässt sich diese Wirtschaftsweise am Beispiel des Bauwesens zeigen. Wird ein Haus gebaut, würden dabei sowohl möglichst viele lokale Baumaterialien wie Holz und Stein, als auch die örtlichen Fachkräfte des Bausektors zum Einsatz kommen. Dadurch, dass es lokale Betriebe wie Sägerei, Zimmerei und Schreinerei sowie Fachkräfte in Hoch- und Tiefbau, Metallbau und sogar Sanitär- und Elektroinstallationen in Rheinwald gibt, sind grundsätzliche Fachkompetenzen grösstenteils vorhanden. Von ausserhalb der Talgenossenschaft gälte es so höchstens Baustoffe wie Zement und Metalle, oder Produkte wie Sanitäranlagen, Elektrogeräte und für spezifische Fälle Gebäudetechniker*in hinzuziehen, um ein Gebäude auf einen bestimmten Standard zu bringen.
Entscheidend scheint für eine Lokalökonomie auch die Identifikation mit dem örtlichen Gewerbe zu sein und dass dieses ein Stück weit als Teil einer kollektiven Haltung würde. Auch dies hängt wiederum von der Bereitschaft der lokalen Bevölkerung ab, beispielsweise möglichst viele Lebensmittel in Rheinwald zu beschaffen oder sogar selbst anzubauen, wie dies durchaus schon in manchen Privatgärten stattfindet.
DIE ARCHITEKTUR UND IHRE ROLLE – Letztendlich stellt sich die Frage nach den möglichen architektonischen Potenzialen aller aufgezeigten Bereiche. Denn auch letztere beinhalten einen bestimmten Wert für Rheinwald, zumal Architektur ein wesentlicher Bestandteil einer Kulturlandschaft ist. Wichtig scheint hinsichtlich der Talgenossenschaft zu sein, dass bestimmte Wertschöpfungsketten in ihrer Ganzheit verstanden werden. Dies bedeutet, dass die Auswahl des zu entwickelnden Teilbereichs der Talgenossenschaft sich idealerweise nicht nach monokulturellen Wirtschaftsweisen richtet, sondern mit ihr ein ganzer Kreislauf von Aufgaben berücksichtigt oder bestmöglich miteinbezogen wird.
Wählt man beispielsweise die Fährte einer Entwicklung des Ackerbaus, genauer des Getreideanbaus, würde diese landwirtschaftliche Kulturform weitaus mehr auslösen, als nur die alleinige Ackerfläche und die Herstellung von Korn und Stroh. Von landschaftsräumlichen Massnahmen für Terrassierungen über die Ernteinfrastruktur oder die vielleicht notwendige Nachreifung und Lagerung des Korns, würde demnach ein erster Teil eines Kreislaufs entstehen. Weiter könnte für die Verarbeitung von Korn eine Mühle und eine Erweiterung der Bäckerei hinzukommen, welche wiederum Energie für den Betrieb benötigen. Um diese nicht von ausserhalb der Talgenossenschaft zukaufen zu müssen, sollte jener zusätzliche Stromverbrauch eigenständig gedeckt werden. Der notwendige Strom könnte demnach zum Beispiel von einem neuen Silobauwerk mit Photovoltaik stammen oder, fast schon rural anmutend, von einer Mühle generiert werden, die durch ein eigenes Kleinwasserkraftwerk betrieben wird. Natürlich entsprechen diese Ansätze erst Ideen und müssten auf ihre Umsetzbarkeit in vielerlei Hinsichten überprüft werden.
Weiter gilt es auch die sozialen Aspekte der Architektur zu beachten. Beinhalteten Bauwerke wie die Säumerhäuser einst sowohl funktionale als auch soziale Aspekte, stellt sich die Frage, wo sich die lokale Bevölkerung heute trifft und miteinander interagiert. Die bestehenden Hotelhäuser leisten unbestritten ihren Beitrag als Räume für soziale Interaktion, in erster Linie für Gäste, aber sicherlich auch für die Talbevölkerung. So auch das Splügner Hotel Bodenhaus, ein ehemaliges Handelsgebäude aus der Säumerzeit, dessen kulturhistorischer Wert weit über die Gästebewirtung hinaus geht. Jedoch stehen heute vier der fünf in der Gemeinde bestehenden Gasthäuser zum Verkauf. Der primäre Grund dafür ist ein Generationenwechsel in den meisten Betrieben, was Rheinwald in vielerlei Hinsichten vor eine Zukunft mit ungewissem Ende stellt. Die Übernahme und Weiterführung dieser Betriebe sollten also gerade deswegen im Interesse aller Rheinwaldner*innen sein.
Es gilt auch abzuklären, welche anderen gesellschaftlich relevanten Orte bestehen oder entstehen können, an denen Interaktion stattfinden kann, möglicherweise auch losgelöst von Konsum. Die Auswahl der beschriebenen Potenziale kann zusammen mit einem Gemeinschaftsgedanken zum Konzept der «Commons», also der Gemeingüter führen. Die Architektur nimmt demzufolge eine Rolle als Vermittlerin ein, zwischen gemeinschaftlichen, gewerblichen und infrastrukturellen Gegebenheiten innerhalb der Talgenossenschaft. Sie wird so nicht nur die Umfassung eines Wertschöpfungskreislaufs beinhalten, sondern auch bildhaft für die Talgenossenschaft und ihr Gemeinschaftsgedanken stehen und auf diese Weise der Vielschichtigkeit eines beabsichtigten Projekts entgegenkommen.
29 Anfangs des 20. Jahrhunderts verdienten noch rund 55% der Haushalte von Hinterrhein, Nufenen, Medels und Splügen ihr Einkommen mit Rindviehhaltung. Vgl. hierzu Zahlen in Oswald 1931, S. 87
30 Siehe hierzu das Interview mit Prof. Stefan Forster.
31 Siehe hierzu Lorez 1943, S. 250-253
32 Ebd., auch Wanner (Hrsg.) 1972, S.15
33 Danke an den Biologen und Experten für Bergackerbau, Dr. Peer Shilperoord für diesen Hinweis.
34 Siehe hierzu Saurer 2017
35 Vgl. hierzu Karte des Amtes für Energie und Verkehr Graubünden (http://map.geo.gr.ch/gr_webmaps/wsgi/theme/Globalstrahlung)
36 https://www.wsl.ch/de/projekte/solaranlagen.html (aufgerufen am 15.04.2020)
37 Schätzung aufgrund von Plänen des kantonalen Geoportals Graubünden, GeoGR AG (https://www.geogr.ch/)
38 Siehe hierzu https://www.naturpark-beverin.ch/de
39 Siehe hierzu Forster in Jäger 2016, S.137 ff.
40 Siehe hierzu das Interview mit Prof. Stefan Forster.
Zur Ermittlung der Faktoren für eine Loslösung von Subventionen von Bund und Kanton, sowie zur Definition endogener und exogener Potenziale in Rheinwald, soll eine konkrete Analyse der bestehenden Strukturen und deren Gegenüberstellung mit den Erkenntnissen aus der Haushaltsrechnung dienen. Demnach wird die Eignung der Gemeinde bzw. der Talgenossenschaft für mögliche neue Aktivitäten und Aufgaben diskutiert, welche für eine subsistenzwirtschaftliche Genossenschaftsstruktur unentbehrlich sind.
Es gibt auf dem ersten Blick wenig Anreize, ein zweifelsfrei gut organisiertes Agrarsystem, bestehend aus vollständig biologischer Milchwirtschaft, deren Markt und deren Direktzahlung und Förderbeiträge durch eine neue Strategie zu ersetzen. Werden aber Ziele wie Subsistenz verfolgt, sind systematische monetäre Direktzahlungen grundsätzlich hinterfragbar, zumal sie von ausserhalb stammen und nicht primär innerhalb der Gemeinschaft generiert werden. Betrachtet man die Wirtschaft innerhalb der Talgenossenschaft als eine ganzheitliche, müsste folglich mittelfristig ein systemisches Gleichgewicht zustande kommen, das dank den eigenen Wertschöpfungen die nötigen Mittel generiert, um die anfallenden Betriebsaufwände oder unvermeidlichen Defizite zu decken.
Voraussetzung dafür ist nicht zuletzt auch die Bereitschaft von Rheinwald und der Wille der Bevölkerung, sich neue oder zusätzliche Tätigkeiten anzueignen. Zum einen sollen dabei geographische, landschaftliche, kulturelle und nicht zuletzt infrastrukturelle sowie architektonische Potenziale angeschaut werden, zum anderen gilt es in einem zusätzlichen Schritt die erwähnte Bereitschaft durch den Dialog mit diversen lokalen Akteuren zu überprüfen.
DIE LANDWIRTSCHAFT UND IHRE BESTEHENDEN GENOSSENSCHAFTEN – Die Landwirtschaft bleibt für Rheinwald ein äusserst wichtiger wirtschaftlicher Sektor. Während anfangs des 20. Jahrhunderts noch rund 55% der Haushalte mit der Rindviehhaltung für ihr Einkommen sorgten,29 scheint die Landwirtschaft im letzten Jahrhundert einen Teil ihrer gesellschaftlichen Bedeutung eingebüsst zu haben. Dennoch bildet sie mit fast einem Drittel der Beschäftigungen in der Gemeinde eine zentrale Tätigkeit der Bevölkerung von Rheinwald.
Die extensive Landwirtschaft von Rheinwald ist mehrheitlich auf die Milchwirtschaft ausgerichtet. Neben der Tatsache, dass diese gesamthaft genossenschaftlich organisiert ist, hat sie für das Tal einen hohen Stellenwert. Innerhalb der Gemeinde erhalten die zwei Sennereigenossenschaften in Splügen und Nufenen ihre Milch von den lokalen Landwirtschaftsbetrieben, um diese als Rohstoff zu Produkten wie Käse, Joghurt oder Butter zu verarbeiten. In erster Linie wird der Käse ausserhalb des Tals erfolgreich vermarktet, was wiederum ermöglicht, den Bäuerinnen und Bauern eine faire Entlohnung für ihre Milch anzubieten.
Die genossenschaftliche Sennerei in Splügen ist im Besitz der lokalen Landwirtschaftsbetriebe und wird vom Betreiber gepachtet. Während letzterer mehr Wert auf die handwerkliche Verarbeitung und ein breite Produktvielfalt legt, übernimmt der Betrieb in Nufenen mit Robotertechnologie und einer Milchleitung von der Alp ins Dorf die Rolle des Vorreiters in Sachen modernisierter Bergkäseherstellung. Dabei sind dort die Milchbäuerinnen und -bauern die eigentlichen Betreiber der Sennerei und die Fachkräfte sind vertraglich angestellt.
Die Wertschöpfung der Sennereibetriebe ist für die gesamte Gemeinde verhältnismässig gross und wirtschaftlich von hoher Bedeutung. Ihre genossenschaftliche Struktur, die biologische Produktionsweise und ihre Erzeugnisse gelten für Rheinwald als lokale Markenzeichen, deren Erfolg nicht zuletzt der Lage von Rheinwald an der Autobahn A13, also der Nord-Süd-Achse zu verdanken ist. Die damit verbundenen logistischen und marktstrategischen Faktoren sind für die Region ein klarer Vorteil, den entsprechende Betriebe in stärker abgelegenen Gegenden oder Sackgassentälern nicht vorweisen können.30
Die sieben bestehenden Alpgenossenschaften und elf Allmenden verfolgen ebenfalls das Ziel der nachhaltigen Milchwirtschaft auf Gemeinschaftsweiden. Beispielsweise unterscheidet sich die Alpgenossenschaft Tällialp nahe Hinterrhein dadurch von den zwei Sennereigenossenschaften unten im Tal, dass ihre Milch und deren Verarbeitung alleine während der Sömmerungszeit auf der ihr zugehörigen Alp abgefertigt wird. Die Alpgenossenschaft Felsberg auf der Alp Tambo im Gebiet von Splügen steht ihrerseits in einem speziellen Verhältnis zu Rheinwald, da die Alp der Gemeinde Felsberg selbst gehört.
Die übrigen Landwirtschaftsbetriebe sind, mit wenigen Ausnahmen für Kleinviehhaltung und Anzucht von Jungtieren, auf die Mutter- und Mastkuhhaltung für die Produktion von Fleisch spezialisiert. Diese Form von Fleischwirtschaft ist in Rheinwald, anders als zum Beispiel der Schlacht- und Verarbeitungsbetrieb Metzga-Viamala im nahe gelegenen Andeer oder die Mazlaria in Vrin, nicht genossenschaftlich organisiert. Die Landwirtschaftsbetriebe vermarkten ihre Produkte in der lokalen Metzgerei in Splügen oder eigenständig über Kanäle bzw. Labels, die der biologischen Produktionsweise entsprechen. Ihr ökonomisches Gewicht ist durch die tiefe Anzahl an spezialisierten Betrieben für Rheinwald deutlich kleiner als jenes der Milchwirtschaft. Dennoch könnte es für eine Eigenversorgung jedes Mitgliedes der Genossenschaft mit Fleischprodukten eine Schlüsselrolle erhalten.
Abseits von diesem partiell genossenschaftlichen Modell ist der gesamte Landwirtschaftszweig von agrarpolitischen Direktzahlungen geprägt. Letztere lassen eine finanzielle Abhängigkeit der Gemeinde von Ausserhalb entstehen und führen dazu, dass Subventionsbeiträge immer Teil der Gesamtrechnung für landwirtschaftliche Erträge sind. Durch die tiefe Verankerung dieses Förderungsmodells des Bundes in der Agrarwirtschaft bleibt so die Frage offen, ob die Förderung von nachhaltiger Landwirtschaft oder monetäre Transferleistungen für Entlohnungen und allgemeine Betriebskosten überhaupt auf einem anderen Weg generiert werden können.
Grundsätzlich werden Direktzahlungen von Bund und Kanton aus den Staatskassen finanziert und beruhen mitunter auf der Bereitschaft der breiten Bevölkerung, landwirtschaftliche Leistungen zu fördern und mitzufinanzieren. Hinsichtlich einer gemeindeweiten genossenschaftlichen Organisation gilt es demnach herauszufinden, ob die nötigen Mittel auch innerhalb der Entität der Talgenossenschaft generiert werden können, um so die Direktzahlungen in einen selbstfinanzierenden Kreislauf einzubinden. Was aus politischer Sicht schwierig umzusetzen scheint, ist in einer Nachbarsgemeinde von Rheinwald partiell der Fall. Der sich auf Gemeindeboden von Sufers befindliche Speicherstausee generiert dank den sogenannten Wasserzinsen entsprechende Einnahmen, die es der Gemeinde ermöglichen, beispielsweise die dorfeigene Sennereigenossenschaft zu subventionieren. Aus lokalökonomischer Sicht erfolgt somit die Unterstützung eines schwächeren, aber dennoch vitalen lokalen Gewerbes durch eines, das sich im Verlauf der Geschichte zu einem stärkeren Gewerbe entwickelt hat.
Wie zu Beginn dieses Kapitels erwähnt, scheint es für Rheinwald kaum Anreize zu geben, ein gut funktionierendes landwirtschaftliches System wie jenes der vorwiegend monokulturellen Milchwirtschaft durch ein anderes zu ersetzen. Bringt man aber eine subsistenzwirtschaftliche Zielsetzung und die gleichzeitige Loslösung von Subventionierungen durch Bund und Kanton mit ins Spiel, ist eine alternative Wirtschaftsform wohl unabdingbar. Aus agronomischer Sicht würde dies auf keinen Fall eine Ersetzung, sondern eine Ergänzung der Milchlandwirtschaft bedeuten.
Konkret könnte dies zum Beispiel eine reduzierte Form von Ackerbau sein, welcher heute im Tal weitgehend fehlt. Wohlbemerkt war der Anbau von Getreide, Kartoffeln oder auch Flachs und Hanf in Rheinwald niemals von hoher Bedeutung und soll auch historisch höchstens zur Eigenversorgung stattgefunden haben.31 Das raue Klima am Hinterrhein und die Ernteunsicherheit ist aber nicht der hauptsächliche Grund dafür. Vielmehr waren während den Jahrhunderten des Säumerwesens genügend finanzielle Mittel vorhanden, um beispielweise Korn aus Italien zuzukaufen.32
Getreideanbau erlebt zwar seit einigen Jahren einen Aufschwung in Bergregionen, aus historischer Sicht ist er in den Alpen jedoch keineswegs neu. In höheren Lagen sind Spuren dieser Anbauform, anders als in milderen und tiefergelegenen Gegenden, oftmals unmittelbar am Fusse von sonnenexponierten Südhängen vorzufinden.33 Topographisch betrachtet trifft man aufgrund der Ost-West Richtung des Tals auch in Rheinwald auf solche Hänge. Wie aktuell an Beispielen der weiter unten am Hinterrhein liegenden Felder in Sufers und hauptsächlich jenen im Schams ersichtlich ist, dient der Getreideanbau dort nicht nur für die Selbstversorgung mit Korn, sondern auch derjenigen von Stroh, welches wiederum für die Viehwirtschaft benötigt wird.
Andere Anbaukulturen wie Flachs, Hanf oder Mohn sind in alpinen Lagen ebenfalls vorzufinden. Wurden in der Geschichte vor allem Garn und Textil daraus gewonnen, sind es heute auch kulinarische und medizinische Produkte wie Öle, die den Anbau dieser Pflanzen attraktiv machen.
Interessant scheint weiter auch die Thematik der Verwertung von Nebenprodukten aus der Käseherstellung wie der Schotte, auch Molke genannt. Während in Nufenen die Schotte eingedickt und an die Lebensmittelindustrie weiterverkauft wird, wird sie in Splügen an die genossenschaftseigenen Schweine verfüttert, die wiederum geschlachtet und unter anderem zu Salsiz verarbeitet werden können. Die Schweine generieren aber auch Dünger, der auf dem Weideland in Rheinwald nicht angewendet werden darf. Deshalb wird dieser als Nebenprodukt an Regionen wie das vorhin erwähnte Schams zu sehr tiefen Preisen verkauft, wo er im Ackerbau verwendet wird. Für die Schweinehaltung muss heute zusätzliche Nahrung zugekauft werden, zum Beispiel Kartoffeln oder Gerste, die womöglich auch innerhalb der Talgenossenschaft angebaut werden könnten.
ENERGIE: BESTEHENDE UND NEUE POTENZIALE – In den 1940er Jahren wurde in der heutigen Gemeinde Rheinwald ein beträchtliches Stauseeprojekt geplant, gegen das sich die Bewohner*innen der betroffenen Dörfer Nufenen, Medels und Splügen damals erfolgreich gewehrt haben. Landesweit erntete die lokale Bevölkerung dafür Kritik, denn sie gab so statt dem damals angepriesenen schweizerischen «Gemeinwohl» ihren eigenen Interessen Vorrang.34 Sie verhinderte dadurch aber glücklicherweise die landschaftliche Prämisse eines Stausees und dessen ökologische Auswirkungen, welche heute noch bei anderen, realisierten Projekten stark hinterfragt oder kritisiert werden.
Aus heutiger Sicht hat sich die Energieproduktion in Rheinwald mehrheitlich in Form von Kleinwasserkraftwerken zur Deckung des Eigenbedarfs etabliert. Auch hier ist ein Teil des Sektors genossenschaftlich organisiert, wie das Beispiel eines kleinen privaten Flusskraftwerks in Hinterrhein zeigt. Andere Kleinkraftwerkunternehmungen sind Aktiengesellschaften mit Beteiligung der Gemeinde und eines Energiekonzerns.
Das Potenzial der Wasserkraft ist in Rheinwald aus subsistenzwirtschaftlicher Sicht deutlich vorhanden. Die Investitionskosten für die grösseren unter den Anlagen bedingten allerdings die erwähnte Beteiligung eines Grosskonzerns, der aber der lokalen Verwaltung eine gewisse Unabhängigkeit im Betrieb der Anlagen gewährt.
Die erbrachte Leistung der Kleinwasserkraftwerke in Rheinwald vermag den Bedarf der Gemeinde vollständig zu decken. Es wäre aber denkbar, dass diese Energieerzeugung in kleinem Masse ausgeweitet wird, um so vom Stromhandel profitieren zu können oder den Bedarf von allfälligen neuen Infrastrukturen decken zu können. Blickt man zum Beispiel auf Karten des Bundes für Wasserkraftpotenzial, fällt auf dem ersten Blick der Hauptwasserlauf, also der Hinterrhein, auf. Der Fluss wird aktuell am schon erwähnten Flusskraftwerk in Hinterrhein genutzt, es scheint aber talabwärts noch weitere Stellen zu geben, die das Potenzial für ähnliche, kleine Anlagen haben könnten. Zu bedenken ist dabei immer auch die ökologische Sicht, zumal solche Kraftwerke nicht ohne Auswirkungen auf die lokale Biosphäre bleiben.
Neben Wasserkraft scheint die eine andere lokale Ressource, die gerade in alpinen Lagen ein verstärktes Potenzial darstellt, eine Gelegenheit zur Ergänzung der Stromproduktion zu bieten; Die Solarenergie. Aktuell sind in Rheinwald diverse Photovoltaik-Anlagen auf Dachflächen installiert, meist bei Ställen und Alpgebäuden. Sie dienen primär dem Eigenverbrauch, die dabei erzeugte Energie könnte aus technischer Sicht aber auch ins Stromnetz gespeist werden.
Die Leistungsfähigkeit einer Photovoltaik-Anlage hängt mitunter von der lokalen Globalstrahlung ab. In Rheinwald ist diese mit Werten zwischen jährlich 1’300 kWh/m2 im Tal und bis 1’500 kWh/m2 in höheren Lagen sehr günstig.35 Zudem beeinflussen die tieferen Aussentemperaturen der alpinen Regionen die Leistung der Anlagen positiv.
Solarenergie stellt somit ein klares Potenzial für die Gemeinde dar, wobei es gewisse Faktoren zu beachten gilt. Nicht zu ignorieren sind im Talbereich bzw. in den Dörfern vor allem Einwände, welche das Ortsbild betreffen. Es ergäbe womöglich wenig Sinn, die Steindächer historischer Bauten mit Photovoltaik zu bedecken, alleine schon, weil diese meist komplexe Dachformen oder Walmdachvolumen aufweisen. So scheint die Installation von Solarwärmekollektoren oder Photovoltaikmodulen an zeitgenössischen Ökonomiebauten sinnvoller, wie dies beispielsweise im Ort Hinterrhein bei einem grossen Teil der Ställe bereits realisiert wurde.
Auch die Möglichkeit für grossflächige, leistungsstärkere Anlagen wäre vorstellbar; es gälte beispielsweise abzuklären, ob die bestehenden infrastrukturellen Bauwerke der Nationalstrasse A13, zum Beispiel die bestehende Lawinenschutzgalerie westlich von Nufenen, eine Gelegenheit für grossflächige PV-Anlagen bieten könnte. Auch die Anwendung von Photovoltaik als Lärmschutzwand ist denkbar. Ein realisiertes Pilotprojekt entlang der A13 besteht bereits seit gut dreissig Jahren in der Nähe von Chur. Im Fall von Rheinwald könnte eine solche Infrastruktur gleichsam einer Erhöhung der lokalen Stromerzeugung sowie der Eindämmung der Schallemissionen für Siedlung und Umwelt dienen.
Weiter könnte in höheren Lagen, wo sowohl die Globalstrahlung stärker, als auch die Temperaturen tiefer sind, die Leistung von PV-Anlagen umso grösser sein. Es besteht auch hier ein mögliches Potenzial, dessen Technik aktuell noch in der Entwicklungsphase steht. Am eidgenössischen Forschungsinstitut für Wald, Schnee und Landschaft wird derzeit die Anbringung von Photovoltaikmodulen an Lawinenverbauungen erforscht.36 Auch in Rheinwald sichern Lawinenverbauungen einige Hänge oberhalb von Siedlungen und Strassenabschnitten. Die Eignung für die Montage von entsprechenden Photovoltaikmodulen an rund zwei Kilometern37 verbauten Lawinenschutz, die an besonnten Hängen stehen, wäre demnach zu überprüfen.
Was die Wärmeerzeugung für Privataushalte betrifft, so sind rund siebzig Erdwärmenutzungen auf Gemeindeboden – gut fünfzig davon in Splügen – dokumentiert. Geothermie scheint somit als nachhaltige Lösung im Tal weit verbreitet zu sein. Grundsätzlich ist diese Form von Wärmenutzung bis auf den Stromverbrauch durch Wärmepumpen autonom. Wird die dafür notwendige Elektrizität innerhalb der Talgenossenschaft erzeugt, entspricht auch Erdwärme im Grunde genommen einer endogenen Ressource.
GANZHEITLICHER TOURISMUS – Neben der Landwirtschaft stellt die Tourismusbranche die meisten und umsatzstärksten Arbeitsstellen in Rheinwald dar. Nicht nur der Bergbahnbetrieb beschäftigt diese Arbeitskräfte, sondern auch eine ganze Reihe an Dienstleistungsbetriebe aus der Gastronomie, Hotellerie und dem Detailhandel. Tagesgäste, Dauergäste und Zweitwohner*innen bringen aber in den Hochsaison-Monaten nicht nur mehr Menschen ins Tal. Es entwickelte sich so auch eine historisch gewachsene Situation, die Rheinwald wirtschaftlich von diesen Gästen abhängig macht.
Für Unsicherheit im Tal sorgt aktuell die Tatsache, dass vier der insgesamt fünf Hotelbetriebe zum Verkauf stehen. Der Grund dafür ist zwar weniger eine Unrentabilität der Betriebe als eine vorsorgliche Suche nach Nachfolger*innen. Dennoch spielt das mittelfristige Weiterbestehen dieser Hotels für Rheinwald eine Schlüsselrolle, da sie zugleich soziale und wirtschaftliche Pfeiler für die Gemeinde sind.
Der Personenverkehr ist für Rheinwald Fluch und Segen zugleich. Denn die gute Anschliessung an die Nationalstrasse A13 und die kurzen Anreisezeiten mit dem Auto bringen auch eine hohe Wetterabhängigkeit und ein erhöhtes wirtschaftliches Risiko mit sich.
Zusätzlich stellt sich die grundsätzliche Frage, in welche mittelfristige Zukunft das existierende Wintersportangebot zielt, wenn diverse Faktoren im Zeitalter der Klimaerwärmung den Skibetrieb vermehrt vor Schwierigkeiten stellen werden. Bereits heute wird der defizitäre Bergbahnbetrieb von der Gemeinde monetär und unternehmerisch unterstützt, was eine nicht unbedeutende finanzielle Belastung darstellt, die letztendlich auf Steuergelder zurückgreift. Diese Unterstützung fällt auf die demokratische Entscheidung der lokalen Bevölkerung zurück, was den gesellschaftlichen Stellenwert dieser Branche im Tal verdeutlicht. Das Ziel der Rheinwaldner*innen scheint somit deutlich die Erhaltung der damit verbundenen Betriebe und Arbeitsplätze zu sein.
Es gibt aber auch durchaus Szenarien, die Rheinwald neue Möglichkeiten eröffnen. Die Anschliessung der Gemeinde im Perimeter des Naturparks Beverin, zusammen mit anderen nördlich gelegenen Regionen, ist ein Beispiel dafür. Dabei wird ein Modell, das aus der Vermarktung von Nachhaltigkeit, Ökologie oder regionalem Handwerk und Produkten auf einen zeitgenössischen Trend setzt. An der konzeptuellen Entwicklung des Parks war unter anderem die Forschungsgruppe für Tourismus und Nachhaltige Entwicklung der ZHAW beteiligt.38 Dadurch, dass diese Institution dem Park immer noch nahesteht, wird dieser auch zum Forschungsobjekt, an dem Ideen und Strategien direkt in die Praxis umgesetzt und überprüft werden können, was wiederum der breiten Akzeptanz des Parks bei der Bevölkerung zu verdanken ist. Die Mitgliedschaft im Naturparkgefüge kann im Falle von Rheinwald als Gegenantwort auf das 2016 gescheiterte Nationalparkprojekt, den Parc-Adula gesehen werden. Das Rheinwald wäre damals dessen östlichster Teil geworden, was die damaligen Gemeinden, bis auf Nufenen, auch mehrheitlich befürworteten.
Es gilt hier vor allem die Begrifflichkeit des Tourismus’ in Relation zum Naturpark Beverin zu verdeutlichen. Kern dieser Debatte ist ein Konzept, das den Tourismus als etwas gesamtheitliches definiert. Als etwas Themenübergreifendes, das sich nicht einseitig auf eine bestimmte Spezialisierung ausrichtet, wie ein alleiniger Fokus auf den Ski- oder Wandertourismus. Eine zentrale Rolle spielt dabei ein sogenannter Ermöglicher-Kreislauf,39 der ein gemeinsames Ziel vorgibt – in diesem konkreten Fall ist dies Nachhaltigkeit – und alle Akteure vor Ort, die diese Haltung freiwillig teilen, miteinschliesst und dabei unterstützt, dieses Ziel zu erreichen. Die Beteiligten reichen von der Bevölkerung über das lokale Gewerbe, Handwerk oder die Landwirtschaft, bis zum Gast, der ein bestimmtes Interesse am Ort und dessen Kulturlandschaft mitbringt. Daraus entsteht ein wirtschaftlicher, aber auch sozialer Austausch, der eine nachhaltige Erhaltung des Kreislaufs innerhalb dieser Regionen ermöglicht.40
Es zeichnet sich also eine neue Rolle für den Tourismus ab. Er wird als etwas themenübergreifendes verstanden und soll die lokale Kulturlandschaft und eine damit verbundene Haltung zum Leben oder Wirtschaften nach Aussen vermitteln. Somit wird Tourismus zum Gefäss für die Interaktion zwischen den lokalen Akteuren und den daran interessierten Gästen, die eine spezifische Beziehung zum kulturellen und geographischen Kontext mit ins Spiel bringen. Das Ziel dieser Interaktion bleibt so nicht alleine ein finanzielles und somit Abhängigkeiten auslösendes, sondern es bezieht einen bereichernden gesellschaftlichen und kulturellen Aspekt mit ein.
Bezüglich einer Haltung kann gerade das Konzept der Talgenossenschaft identitätsstiftend wirken, zumal diese auch die Lebens- und Wirtschaftsweise in Rheinwald umfassen würde. Der Tourismus übernähme dabei weniger die Rolle eines einzelnen wirtschaftlichen Bausteines innerhalb der genossenschaftlichen Struktur, sondern diejenige des Vermittlers innerhalb der Talgenossenschaft, der diese aber auch gegen aussen vertritt, also gegenüber Individuen wie Gäste, Zweitwohner*innen, aber auch Handelspartner*innen, Dienstleister*innen oder sogar Wissenschaftler*innen als exogene Potenziale.
LOKALE KREISLÄUFE – Wie schon Anfangs dieser Arbeit erörtert, gilt es hinsichtlich der Bildung der Talgenossenschaft sämtliche Lebensbereiche in ihre Ökonomie miteinzubeziehen. Dies zieht nach sich, dass die Talgenossenschaft darauf angewiesen ist, dass ihre Mitglieder, ob Individuen oder Betriebe, sich gegenseitig unterstützen und auch Produkte und Leistungen voneinander beziehen. Folglich würde Rheinwald davon leben, dass man – so gut es geht – die lokale Ökonomie vollständig ausnutzt und nur die nicht vorhandenen Ressourcen von ausserhalb bezieht.
Am besten lässt sich diese Wirtschaftsweise am Beispiel des Bauwesens zeigen. Wird ein Haus gebaut, würden dabei sowohl möglichst viele lokale Baumaterialien wie Holz und Stein, als auch die örtlichen Fachkräfte des Bausektors zum Einsatz kommen. Dadurch, dass es lokale Betriebe wie Sägerei, Zimmerei und Schreinerei sowie Fachkräfte in Hoch- und Tiefbau, Metallbau und sogar Sanitär- und Elektroinstallationen in Rheinwald gibt, sind grundsätzliche Fachkompetenzen grösstenteils vorhanden. Von ausserhalb der Talgenossenschaft gälte es so höchstens Baustoffe wie Zement und Metalle, oder Produkte wie Sanitäranlagen, Elektrogeräte und für spezifische Fälle Gebäudetechniker*in hinzuziehen, um ein Gebäude auf einen bestimmten Standard zu bringen.
Entscheidend scheint für eine Lokalökonomie auch die Identifikation mit dem örtlichen Gewerbe zu sein und dass dieses ein Stück weit als Teil einer kollektiven Haltung würde. Auch dies hängt wiederum von der Bereitschaft der lokalen Bevölkerung ab, beispielsweise möglichst viele Lebensmittel in Rheinwald zu beschaffen oder sogar selbst anzubauen, wie dies durchaus schon in manchen Privatgärten stattfindet.
DIE ARCHITEKTUR UND IHRE ROLLE – Letztendlich stellt sich die Frage nach den möglichen architektonischen Potenzialen aller aufgezeigten Bereiche. Denn auch letztere beinhalten einen bestimmten Wert für Rheinwald, zumal Architektur ein wesentlicher Bestandteil einer Kulturlandschaft ist. Wichtig scheint hinsichtlich der Talgenossenschaft zu sein, dass bestimmte Wertschöpfungsketten in ihrer Ganzheit verstanden werden. Dies bedeutet, dass die Auswahl des zu entwickelnden Teilbereichs der Talgenossenschaft sich idealerweise nicht nach monokulturellen Wirtschaftsweisen richtet, sondern mit ihr ein ganzer Kreislauf von Aufgaben berücksichtigt oder bestmöglich miteinbezogen wird.
Wählt man beispielsweise die Fährte einer Entwicklung des Ackerbaus, genauer des Getreideanbaus, würde diese landwirtschaftliche Kulturform weitaus mehr auslösen, als nur die alleinige Ackerfläche und die Herstellung von Korn und Stroh. Von landschaftsräumlichen Massnahmen für Terrassierungen über die Ernteinfrastruktur oder die vielleicht notwendige Nachreifung und Lagerung des Korns, würde demnach ein erster Teil eines Kreislaufs entstehen. Weiter könnte für die Verarbeitung von Korn eine Mühle und eine Erweiterung der Bäckerei hinzukommen, welche wiederum Energie für den Betrieb benötigen. Um diese nicht von ausserhalb der Talgenossenschaft zukaufen zu müssen, sollte jener zusätzliche Stromverbrauch eigenständig gedeckt werden. Der notwendige Strom könnte demnach zum Beispiel von einem neuen Silobauwerk mit Photovoltaik stammen oder, fast schon rural anmutend, von einer Mühle generiert werden, die durch ein eigenes Kleinwasserkraftwerk betrieben wird. Natürlich entsprechen diese Ansätze erst Ideen und müssten auf ihre Umsetzbarkeit in vielerlei Hinsichten überprüft werden.
29 Anfangs des 20. Jahrhunderts verdienten noch rund 55% der Haushalte von Hinterrhein, Nufenen, Medels und Splügen ihr Einkommen mit Rindviehhaltung. Vgl. hierzu Zahlen in Oswald 1931, S. 87
30 Siehe hierzu das Interview mit Prof. Stefan Forster.
31 Siehe hierzu Lorez 1943, S. 250-253
32 Ebd., auch Wanner (Hrsg.) 1972, S.15
33 Danke an den Biologen und Experten für Bergackerbau, Dr. Peer Shilperoord für diesen Hinweis.
34 Siehe hierzu Saurer 2017
35 Vgl. hierzu Karte des Amtes für Energie und Verkehr Graubünden (http://map.geo.gr.ch/gr_webmaps/wsgi/theme/Globalstrahlung)
36 https://www.wsl.ch/de/projekte/solaranlagen.html (aufgerufen am 15.04.2020)
37 Schätzung aufgrund von Plänen des kantonalen Geoportals Graubünden, GeoGR AG (https://www.geogr.ch/)
38 Siehe hierzu https://www.naturpark-beverin.ch/de
39 Siehe hierzu Forster in Jäger 2016, S.137 ff.
40 Siehe hierzu das Interview mit Prof. Stefan Forster.