Gespräch mit Christian Simmen, Gemeindepräsident der Gemeinde Rheinwald,
10.03.2020, Gemeindekanzlei in Splügen
Sven Fawer: Um direkt zu einer meiner zentralen Fragestellungen zu kommen; welche Auswirkungen hat die letztjährige Gemeindefusion auf die infrastrukturelle Organisation, jetzt wo die Verwaltung zentral in Splügen agiert und Gemeindelokale in Nufenen und Hinterrhein womöglich leer stehen?
Christian Simmen: Dies ist in den jeweiligen Fällen unterschiedlich. Von Anfang an war klar, dass das Gemeindezentrum aufgrund der allgemeinen Situation hier in Splügen sein wird. In Hinterrhein haben wir relativ wenig Probleme gehabt, da die Verwaltung mehr oder weniger aus dem privaten Wohnzimmer stattgefunden hat. Somit gab es dort kaum Strukturen, welche überflüssig wurden. In Nufenen gab es ein Gemeindebüro, welches im Moment samt Infrastruktur stillgelegt ist. Ab und zu benutze ich es für Sitzungen oder andere Gelegenheiten, bei denen es Sinn macht, sie in Nufenen abzuhalten. Momentan dient es auch noch als Archiv, da es zurzeit keinen Sinn macht, alles – alleine schon was den vorhandenen Platz angeht – hier nach Splügen zu zügeln.
Die übrigen Strukturen wie ARA, Lager oder Magazine werden nach wie vor in den jeweiligen Fraktionen benutzt. Die Gemeindesäle von Nufenen und Hinterrhein werden natürlich nicht mehr für Gemeindeversammlungen gebraucht, jedoch finden in ihnen immer noch kulturelle und andere Anlässe statt.
SF: Gibt es auch im Schulwesen einen administrativen oder strukturellen Wandel?
CS: Vor der Fusion gab es einen Schulverband, bei dem auch die nicht mitfusionierte Gemeinde Sufers dabei war. Ähnlich wird nun dieser Verband von einer Kommission der Gemeinde Rheinwald geleitet, mit einer Leistungsvereinbarung mit Sufers. Infrastrukturell hat sich hingegen nichts geändert. Der Kindergarten Nufenen bleibt weiterhin bestehen, was aus meiner Sicht eine gute Sache ist und die Schule befindet sich bis Oberstufe auch immer noch hier in Splügen. Der Wandel fand also nur in der administrativen Struktur statt.
SF: Verfolg die Gemeinde mittel- oder langfristig das Ziel, trotz tiefer Bevölkerungzahl den Schulbetrieb im Tal zu erhalten?
CS: Ja das ist so. Aktuell reicht das Angebot bis in die Oberstufe. Bei letzterer stellt sich natürlich schon die Frage, wie lange man diese noch hierbehalten kann. Dies hängt auch von den Möglichkeiten der Lehreranstellungen ab, denn dies ist nicht immer einfach. Aktuell sind wir auf Kurs, so dass diese Stufe bis 2025 erhalten werden kann. Was danach passiert ist noch offen. Es kann sein, dass man irgendwann sagen muss, die Oberstufenschüler müssen talabwärts nach Zillis, zusammen mit Schams und Avers. Solange die Qualität des Unterrichts hier gewährleistet ist, kann man dies sicher noch im Rheinwald erhalten.
Es gibt ja durchaus Strategien, die teilweise vielleicht ein wenig herausfordernd sind, aber mit flexiblen Lehrkräften und passenden Stundenplänen verfolgbar wären. Dabei denke ich zum Beispiel an die Zusammenlegung verschiedener Stufen.
SF: Sie haben die Gemeinde Sufers schon angesprochen; Ist der Stausee (Sufnersee) tatsächlich ein Grund dafür, dass diese Gemeinde die Fusion abgelehnt hat?
CS: Ja, dies ist wahrscheinlich ein offenes Geheimnis. Sufers kann Einnahmen durch Wasserzinsen des auf ihrem Gemeindeboden gestauten Sees generieren, was ihnen wiederum erlaubt, sich einen tieferen Steuerfuss leisten zu können. Somit kann sich das Dorf auch erlauben, gewisse Aufgaben zu erledigen, welche sonst nicht unbedingt zu den Kernkompetenzen einer Gemeinde gehören. So ist eine Mehrheit der Sufner Bevölkerung zum Schluss gekommen, dass man dieses Privileg nicht aufgeben will, was mit der Fusion der Fall gewesen wäre. Ein Stück weit wird vielleicht auch eine Bewahrung der Eigenständigkeit eine Rolle gespielt haben.
Bezüglich des gesamten Finanzausgleichs ist dies natürlich ein wenig bedauerlich, denn man hätte durch den höheren Mittelfluss auch mehr profitieren können. Die Schwierigkeiten sind administrativ in Sachen Feuerwehr, Schulwesen, Tourismus erkennbar, da wir alles über Leistungsvereinbarungen mit Sufers abdecken müssen. Sie beteiligen sich zwar daran, verfügen aber nicht über dieselben Bestimmungsrechte. So muss beispielsweise der Forstdienst der Gemeinde Rheinwald gewisse Aufgaben der Gemeinde Sufers übernehmen, zusätzlich gibt es aber noch ein drittes Gefäss, die Waldkorporation, welche als eigenständige Rechtsperson auftritt. Der administrative Aufwand ist somit schon aufwändiger und komplizierter. Wiederum liegen beim Thema Forst meistens wenige zu lösende Angelegenheiten vor.
Für mich ist das aber nicht ein sonderlich grosses Problem. Ich denke, eine Fusion muss auch eine gewisse Akzeptanz in der Bevölkerung finden. Ist diese nicht vorhanden, macht man so weiter wie zuvor. Man würde natürlich, wenn eine Fusion wiedermal ein Thema wird, sicher dafür offen sein. Dann einfach mit weniger Sonderzugeständnissen, wie beispielsweise – dies war dazumal ein Punkt den man vielleicht sogar eingewilligt hätte – eine Verlagerung des Gemeindezentrums nach Sufers.
SF: Vielleicht ist es nach ein wenig mehr als einem Jahr noch ein wenig zu früh für diese Frage, aber wie ist die allgemeine Stimmung in der Gemeindebevölkerung gegenüber der Fusionierung?
CS: Vermehrt höre ich, dass in der Wahrnehmung jedes einzelnen sich gar nicht so viel geändert haben soll. Sicher gibt es beide Meinungen, die einen finden es gut, die anderen schlecht. Ich nehme aber an, dass immer noch eine Mehrheit die Fusion eine gute Sache finden oder sagen, dass es ein notwendiger Schritt war. Ich habe bisher jedenfalls keine grossen Missstimmungen vernehmen können. Gerade bei Herausforderungen, die noch auf uns zukommen – hier denke ich an den Tourismus oder die Raumplanung – bin ich überzeugt, dass wir so effizienter sein werden, als mit drei einzelnen Gemeinden. Ausserdem haben wir schon seit vielen Jahren gewisse Aufgaben zusammen gelöst oder lösen müssen; Feuerwehr oder Forst sind Beispiele hierfür.
SF: In welcher Form sind Sie als Gemeindepräsident der direkte Interessensvertreter des Rheinwalds innerhalb der Verwaltungsregion Viamala, eine von elf 2016 festgelegten Graubündner Regionen?
CS: Da gibt es die sogenannte Präsidentenkonferenz, bei der sich zweimal in Jahr die Gemeindepräsidenten innerhalb der Region treffen. Hier werden vor allem Themen wie die kommunale Raumplanung oder regionale Raumkonzepte behandelt, bei denen man natürlich für die Interessen der eigenen Gemeinde «vorspuren» muss. Das sind alles relativ grosse Planungsangelegenheiten, von denen ich auch nicht besonders begeistert bin. Wenn man gewisse Phasen davon nicht bereits in der gemeindeinternen Planung zumindest abgebildet hat, hat man einen schweren Stand, um die festgelegten Ziele zu erreichen.
Weiter haben die einzelnen Regionen oder weitere kleinere Regionen innerhalb der Region Aufgaben, in denen sie stärker sind. Bei uns ist es der Tourismus. Da muss ich dementsprechend versuchen, die Wichtigkeit des Wintertourismus in Splügen hervorzuheben. Die Schamser müssen hingegen dasselbe für den Gesundheitstourismus machen, usw. Dies mit dem Ziel, dass man – wenn dann mal Gelder zugesprochen und Entscheidungen gefällt werden – an vorderster Stelle ist. Hier sehe ich die Schwierigkeiten der Raumplanung insofern, dass darin die Zukunft sehr konzeptionell dargestellt und aufgezeichnet wird. Die Wirtschaft an sich ist aber meistens um einiges flexibler, was darin endet, dass man schlussendlich vielleicht unvorhergesehene Lösungen braucht und aufwändig durchdachte Pläne gar nicht zum Einsatz kommen.
Dies ist eigentlich unser Korsett; gerade bezüglich kommunalem räumlichen Leitbild. Themen wie die Zersiedelung und die damit verbundenen Aus- und Einzonungen sind für uns wahnsinnig aufwändige Unternehmungen. Dass Agglomerationen davon betroffen sind, ist auch mir klar. Jedoch ist aus meiner Sicht der administrative Aufwand für uns zum einen und die substanzielle Masse an Auszonungen, welche wir durchführen müssten, zum anderen viel zu gross. So gross, dass wir gar keine Reserven mehr hätten.
Allgemein sehe ich das Problem der Zersiedelung nicht. Auf der einen Seite ist man ja auch in der Lage gewisse Räume als potentialarm zu verzeichnen, da müsste man konsequent sein und sagen in Regionen, die eine hohe Bautätigkeit vorweisen, werden solche Anliegen nach raumplanerischen Gesichtspunkten angeschaut. Ich verlange nicht, dass man gerade in unserer Gemeinde bauen kann wie man will, aber ich glaube es nützt nichts, wenn man Bauzonenpotenzial ausscheidet, dass verschwindend klein ist, weil Bevölkerungswachstumsprognosen klein sind und der der letztendlich bauen will, möchte diese Zonen gar nicht. So wird das Potenzial, das für uns auch sonst schon nicht einfach auszunutzen ist, noch deutlicher eingeschränkt.
SF: Die fehlende Differenzierung in raumplanerischen Fragen ist natürlich auch etwas, mit dem ich mich beschäftige. Dies scheint also eine der grossen Herausforderungen in Ihrer Gemeinde zu sein?
CS: Dass solche Ansätze vielleicht in St. Moritz, an der Goldküste oder im Churer Rheintal nötig sind ist für mich selbstverständlich. Bei uns bedeutet es aber den schon angesprochenen grossen Planungsaufwand, andererseits nimmt es uns auch die Flexibilität die wir benötigen würden. Es ist nicht so, dass in der Fraktion Hinterrhein jedes Jahr fünf neue Wohnhäuser gebaut werden.
SF: Nochmals eine kurze Frage bezüglich Ihrer politischen Aufgaben. Gerade Graubünden weist ja ein grosses Spektrum an Interessensgemeinschaften auf, alleine schon sprachlich und wirtschaftlich. Können diese Interessen der Gemeinde auch direkt beim Kanton angebracht werden?
CS: Die Möglichkeiten gibt es, aber letztendlich liegt es am Willen der Gemeinden, wie fest man gehört wird. Zum einen gibt es den Grossrat der Gemeinde, mit dem langfristigere, grundsätzlichere Angelegenheiten besprochen werden können, und diese somit auf dem politischen Weg in den Grossen Rat getragen werden. Dann gibt es Projektanliegen, bei denen uns der ganze Verwaltungsapparat des Kantons zur Verfügung steht und an den man sich wenden kann. Erst kürzlich musste ich nach dem Unwetter im letzten Sommer mit dem Regierungsrat Kontakt aufnehmen. Auch bei der Thematik der ortsprägenden Bauten, dem Heimatschutz oder der Raumplanung gab es Fälle, bei denen wir mit dem Regierungsrat das Gespräch suchen mussten, was letztendlich positive Lösungsansätze ermöglichte.
SF: Sie haben schon die Wichtigkeit des Wintertourismus als eines der Standbeine der Gemeinde angedeutet. Welche Folgen haben die Loslösung der Bergbahnen von Viamala Tourismus und vom kantonsweiten Tourismusverbund im 2017 neben einer Privatisierung mit sich gebracht?
CS: Das wurde bereits wieder geändert, denn das Ganze hatte hauptsächlich mit der Umstrukturierungsstrategie des damaligen Verwaltungsrates zu tun, welche aus heutiger Sicht nicht nur gelungene Entscheidungen mit sich gebracht hatte. Was die Preisstrategie betrifft, wurde beispielsweise ein Weg gewählt, der sich heute nach drei Jahren als schwierig erweist. Ich bin selbst seit knapp einem halben Jahr Verwaltungsrat des Bergbahnunternehmens und kann sagen, dass wir – auch mit einem neuen CEO zusammen – gewisse Sachen ein wenig anders aufzugleisen versuchen.
Viamala Tourismus als ursprünglicher Tourismusverein Splügen/Rheinwald ist mit der Zeit gewachsen und umfasst mittlerweile auch die Regionen Schams, Avers bis ins Domleschg und Heinzerberg. Ganz aktuell ist das Ganze in einer Umbruchphase, in der der Verein entscheidet, keine operativen Aufgaben, wie beispielsweise Campingplatz und Skischule oder Eventorganisation zu übernehmen und nur noch für das Basismarketing zuständig zu sein. Das daraus entstehende Vakuum in der Aufgabenverteilung fällt jetzt natürlich auf die Gemeinde zurück.
SF: Der Wintertourismus scheint auch sehr stark auf den Tagestourismus gerichtet zu sein, nicht zuletzt dank des Anschlusses an die Autobahn A13. Welche Strategien werden hier auf kommunaler Ebene verfolgt?
CS: Die Umstände dafür sind historisch gewachsen, dank unserer Lage an einer Durchgangsroute. In diesem Sinne haben wir den Marktzugang zum Tessin. Der Tagestourismus ist auch wichtig für uns, weil wir ansonsten nicht über genug Betten verfügen. Diese Umstände führen dazu, dass wir sehr stark abhängig sind von Tagesgästen. Dies hängt wiederrum stark vom Wetter ab; an einem schönen Wochenendtag haben wir zwischen 3000-3500 Gäste, wenn das Wetter aber nicht mitspielt sieht das ganz anders aus.
Kurzfristig kann dies nicht gesteuert werden. Wir haben jedoch aktuell auf Initiative der Bergbahnen einen Masterplan mit dem Fokus auf den Tourismus und in dem die Grundaussage lautet, dass es in Zukunft schwierig wird, wenn man eine notwendige Grundauslastung nicht erreicht, was wiederrum ein Nebenangebot bedingt, das wetterunabhängig ist.
SF: Hat diese gute Erschliessung mit dem Automobil und der damit verbundene Tagestourismus eine Auswirkung auf den Wohnungsleerstand?
CS: Leerstand haben wir in diesem Sinne nicht einmal wirklich. Wer hier eine Wohnung sucht, hat sogar eher Mühe etwas Geeignetes zu finden. Was wir aber haben, sind vielen Zweitwohnungen, welche nicht weitervermietet werden und über das Jahr hindurch sehr wenig belegt sind. Anders gesagt; Die Zahl der kalten Betten ist hoch. Der Immobilienpreis und die Attraktivität des Immobilienstandortes hängen ihrerseits stark von der Existenz der Bergbahnen als Wirtschaftsmotor für die Region ab.
Klar gibt es leerstehende Bausubstanz, welche aber auch teils stark erneuerungsbedürftig ist. Der vorhandene, nutzbare Wohnraum ist hingegen – wenn auch nicht immer ausgelastet – grösstenteils in einem Besitz.
SF: Sie haben die Bergbahnen als Wirtschaftsmotor beschrieben. Welche konkrete Bedeutung haben diese tatsächlich für das Tal?
CS: Es ist und bleibt das grösste Unternehmen im Tal. Ebenfalls was die damit verbundenen Beschäftigungen betrifft, auch wenn diese nicht das ganze Jahr hindurch stattfinden. Es ist auch ein Angebot für Zweitwohner, die für uns eine grosse Wichtigkeit haben. Ich bin überzeugt, dass die Attraktivität des Tals davon abhängt. Es gibt halt Faktoren, welche letztendlich vielen Skibetrieben Schwierigkeiten bereiten und auch uns. Zum Beispiel die erwähnte starke Wetterabhängigkeit.
In diesem Sinn bräuchte es bald in der Zukunft eine Investition, welche das Potential der Region hervorhebt, denn der Betrieb ist für die Gemeinde alleine langfristig nicht tragbar. Dies muss natürlich auch zum Standort passen; wir haben nicht den Anspruch, die Lenzerheide oder Ischgl zu kopieren. Das Tal hat andere Potentiale; Beispielsweise die Nachhaltigkeit, die auch in der lokalen Landwirtschaft schon seit bald dreissig Jahren verfolgt wird.
SF: Wird diese Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft auch aktiv von der Gemeinde gefördert? Ich denke da beispielsweise an die Sennereigenossenschaften.
CS: Wir sind als Gemeinde in der glücklichen Situation, dass wir dafür gar nicht viel machen müssen. Die Gemeinde Sufers subventioniert ihrerseits den Sennereibetrieb, was auf ihre Eigenständigkeit zurückzuführen ist. Ich bin selbst Landwirt und Geschäftsführer der Sennerei in Nufenen und kann bestätigen, dass diesbezüglich keine Unterstützung der Gemeinde benötigt wird. Im Gegensatz dazu ist der Tourismus eine grosse Herausforderung für die Gemeinde, was finanzielle und operationelle Hilfestellungen betrifft.
Als Motor der Landwirtschaft dient natürlich die Agrarpolitik sowie der Markt. Wir waren punkto extensiver Landwirtschaft mit Nufenen und Hinterrhein die ersten zwei Gemeinden des Kantons, in denen vollflächig alle Bauern auf Bio-Landwirtschaft umgestellt haben, in Splügen passierte dies nur kurz später. Das Ganze entstand aus der Vermarktungsstrategie, denn man sah 1992 ein Potenzial darin, welches zu jener Zeit noch nicht so verbreitet war.
Dabei ist aus meiner Sicht für die Vermarktung und den marktwirtschaftlichen Aspekt klar, dass man sich über ein gutes, zuverlässiges Regelwerk von herkömmlichen Wirtschaftsweisen abgrenzen kann. Treiber ist dabei sowohl bei der Milch-, als auch bei der Fleischproduktion der Markt und seine Akteure. Am Beispiel der Molkerei in Nufenen kann ich sagen, dass gar 50% der Vermarktung im Ausland passiert. Dies konnte stattfinden, indem man sich seit zwanzig Jahren in jener Nische – Bio-Zertifizierung, Nachhaltigkeit und Bergherkunft – positioniert hat. Aber auch die Agrarpolitik, die dies fördert, ist ein wichtiger Faktor für uns, denn ich glaube schon, dass wir hier im Rheinwald Landwirtschaft so betreiben, wie dies die schweizerische Landwirtschaftspolitik vorsieht.
Die Gemeindeaufgaben beschränken sich in diesem Sinne auf Verteilung, Verwaltung und Verpachtung von Land, welches ihr gehört, an die Bauern.
SF: Wie geht die Gemeinde in Sachen Energie-Infrastruktur vor? Gibt es Stromerzeugungsanlagen zur Deckung des Eigenbedarfs?
CS: Es gibt verschiedene Kleinkraftwerke, die die einzelnen Fraktionen schon vor der Fusion errichtet haben. So gibt es beispielsweise PV-Anlagen auf Alpgebäuden, verschiedene Kleinwasserkraftwerke mit kostendeckender Einspeisevergütung (KEV) oder ein Flusskraftwerk in Hinterrhein, welches aber nicht der Gemeinde gehört. Dieses Jahr haben wir ein Projekt am Hüscherabach in Splügen, bei dem das neunzigjährige bestehende Kraftwerk, zusammen mit ALPIQ für rund 10 Mio. CHF saniert und modernisiert wird. Es wird nicht mehr als KEV-Kraftwerk betrieben, denn der Strom muss auf den Markt und wird dort für den aktuell eher tiefen Preis verkauft.
Erneuerbare Energie ist sicher ein wichtiger Aspekt. Es war sogar mal ein Windkraftanlage in Hinterrhein bzw. auf dem San Bernardino-Pass geplant, welche ich persönlich unterstützt hätte. Es wäre bezüglich erneuerbarer Energie für die Gemeinde interessant gewesen und hätte in einer Landschaft gestanden, in der sowieso schon eine Hochspannungsleitung, Tunnelinfrastruktur und die Passstrasse stehen. Letztendlich scheiterte das Projekt an der Wirtschaftlichkeit, welche durch den Widerstand bzw. den Bau von nur drei der ursprünglich sechs geplanten Anlagen nicht mehr gegeben gewesen wäre.
SF: Zur Infrastruktur gehört auch die Mobilität; sehen Sie beim ÖV einen Nachteil an der Anhängigkeit des Postautos?
CS: Ich denke wir sind im Allgemeinen gut angeschlossen. Die Wichtigkeit der Achse Chur-Bellinzona spielt uns natürlich in die Karten und ist der Vorteil an unserer Lage. So gibt es die Schnellkurse, auf die man hier zu- und absteigen. Der Anspruch auf ein 30-Minunten-Takt wäre natürlich ein wenig zu hochgegriffen, vorteilhaft wäre vielleicht jeweils einen Kurs früher am Vormittag und einen später am Abend zu haben. Aber auch diesbezüglich gibt es abends einen Taxibus, welcher spätere Fahrten übernimmt.
Ich habe da auch ein Verständnis für den ÖV-Betreiber, der an eine gewisse Auslastung gebunden ist. Grundsätzlich sind wir aber wirklich zufrieden, denn auch die Passierbarkeit im Winter ist quasi immer gewährleistet. Klar ist auch, dass wir regional auf das Auto angewiesen sind, denn es ist einfach ein wenig schwieriger als zum Beispiel in der Stadt.
SF: Zuletzt habe ich noch eine Frage zur demographischen Struktur, genauer denke ich da natürlich an Themen wie Zu- und Abwanderung. Gibt es da eine bemerkbare Wandlung in der Gemeinde Rheinwald?
CS: Tendenziell gibt es natürlich einen leichten Rückgang, der wiederum aber auch nicht extrem ist. Details dazu werden im Kommunalen räumlichen Leitbild abgehandelt. Dort werden beispielsweise Bevölkerungsentwicklung und aktueller Stand genauer erörtert.
Innerhalb der Gemeinde schwanken die Zahlen relativ stark. Die Fraktion Nufenen, hat beispielsweise in den letzten paar Jahren sehr viele Schulkinder aufgewiesen, im Gegensatz zur Fraktion Splügen.
Gespräch mit Christian Simmen, Gemeindepräsident der Gemeinde Rheinwald,
10.03.2020, Gemeindekanzlei in Splügen
Sven Fawer: Um direkt zu einer meiner zentralen Fragestellungen zu kommen; welche Auswirkungen hat die letztjährige Gemeindefusion auf die infrastrukturelle Organisation, jetzt wo die Verwaltung zentral in Splügen agiert und Gemeindelokale in Nufenen und Hinterrhein womöglich leer stehen?
Christian Simmen: Dies ist in den jeweiligen Fällen unterschiedlich. Von Anfang an war klar, dass das Gemeindezentrum aufgrund der allgemeinen Situation hier in Splügen sein wird. In Hinterrhein haben wir relativ wenig Probleme gehabt, da die Verwaltung mehr oder weniger aus dem privaten Wohnzimmer stattgefunden hat. Somit gab es dort kaum Strukturen, welche überflüssig wurden. In Nufenen gab es ein Gemeindebüro, welches im Moment samt Infrastruktur stillgelegt ist. Ab und zu benutze ich es für Sitzungen oder andere Gelegenheiten, bei denen es Sinn macht, sie in Nufenen abzuhalten. Momentan dient es auch noch als Archiv, da es zurzeit keinen Sinn macht, alles – alleine schon was den vorhandenen Platz angeht – hier nach Splügen zu zügeln.
Die übrigen Strukturen wie ARA, Lager oder Magazine werden nach wie vor in den jeweiligen Fraktionen benutzt. Die Gemeindesäle von Nufenen und Hinterrhein werden natürlich nicht mehr für Gemeindeversammlungen gebraucht, jedoch finden in ihnen immer noch kulturelle und andere Anlässe statt.
SF: Gibt es auch im Schulwesen einen administrativen oder strukturellen Wandel?
CS: Vor der Fusion gab es einen Schulverband, bei dem auch die nicht mitfusionierte Gemeinde Sufers dabei war. Ähnlich wird nun dieser Verband von einer Kommission der Gemeinde Rheinwald geleitet, mit einer Leistungsvereinbarung mit Sufers. Infrastrukturell hat sich hingegen nichts geändert. Der Kindergarten Nufenen bleibt weiterhin bestehen, was aus meiner Sicht eine gute Sache ist und die Schule befindet sich bis Oberstufe auch immer noch hier in Splügen. Der Wandel fand also nur in der administrativen Struktur statt.
SF: Verfolg die Gemeinde mittel- oder langfristig das Ziel, trotz tiefer Bevölkerungzahl den Schulbetrieb im Tal zu erhalten?
CS: Ja das ist so. Aktuell reicht das Angebot bis in die Oberstufe. Bei letzterer stellt sich natürlich schon die Frage, wie lange man diese noch hierbehalten kann. Dies hängt auch von den Möglichkeiten der Lehreranstellungen ab, denn dies ist nicht immer einfach. Aktuell sind wir auf Kurs, so dass diese Stufe bis 2025 erhalten werden kann. Was danach passiert ist noch offen. Es kann sein, dass man irgendwann sagen muss, die Oberstufenschüler müssen talabwärts nach Zillis, zusammen mit Schams und Avers. Solange die Qualität des Unterrichts hier gewährleistet ist, kann man dies sicher noch im Rheinwald erhalten.
Es gibt ja durchaus Strategien, die teilweise vielleicht ein wenig herausfordernd sind, aber mit flexiblen Lehrkräften und passenden Stundenplänen verfolgbar wären. Dabei denke ich zum Beispiel an die Zusammenlegung verschiedener Stufen.
SF: Sie haben die Gemeinde Sufers schon angesprochen; Ist der Stausee (Sufnersee) tatsächlich ein Grund dafür, dass diese Gemeinde die Fusion abgelehnt hat?
CS: Ja, dies ist wahrscheinlich ein offenes Geheimnis. Sufers kann Einnahmen durch Wasserzinsen des auf ihrem Gemeindeboden gestauten Sees generieren, was ihnen wiederum erlaubt, sich einen tieferen Steuerfuss leisten zu können. Somit kann sich das Dorf auch erlauben, gewisse Aufgaben zu erledigen, welche sonst nicht unbedingt zu den Kernkompetenzen einer Gemeinde gehören. So ist eine Mehrheit der Sufner Bevölkerung zum Schluss gekommen, dass man dieses Privileg nicht aufgeben will, was mit der Fusion der Fall gewesen wäre. Ein Stück weit wird vielleicht auch eine Bewahrung der Eigenständigkeit eine Rolle gespielt haben.
Bezüglich des gesamten Finanzausgleichs ist dies natürlich ein wenig bedauerlich, denn man hätte durch den höheren Mittelfluss auch mehr profitieren können. Die Schwierigkeiten sind administrativ in Sachen Feuerwehr, Schulwesen, Tourismus erkennbar, da wir alles über Leistungsvereinbarungen mit Sufers abdecken müssen. Sie beteiligen sich zwar daran, verfügen aber nicht über dieselben Bestimmungsrechte. So muss beispielsweise der Forstdienst der Gemeinde Rheinwald gewisse Aufgaben der Gemeinde Sufers übernehmen, zusätzlich gibt es aber noch ein drittes Gefäss, die Waldkorporation, welche als eigenständige Rechtsperson auftritt. Der administrative Aufwand ist somit schon aufwändiger und komplizierter. Wiederum liegen beim Thema Forst meistens wenige zu lösende Angelegenheiten vor.
Für mich ist das aber nicht ein sonderlich grosses Problem. Ich denke, eine Fusion muss auch eine gewisse Akzeptanz in der Bevölkerung finden. Ist diese nicht vorhanden, macht man so weiter wie zuvor. Man würde natürlich, wenn eine Fusion wiedermal ein Thema wird, sicher dafür offen sein. Dann einfach mit weniger Sonderzugeständnissen, wie beispielsweise – dies war dazumal ein Punkt den man vielleicht sogar eingewilligt hätte – eine Verlagerung des Gemeindezentrums nach Sufers.
SF: Vielleicht ist es nach ein wenig mehr als einem Jahr noch ein wenig zu früh für diese Frage, aber wie ist die allgemeine Stimmung in der Gemeindebevölkerung gegenüber der Fusionierung?
CS: Vermehrt höre ich, dass in der Wahrnehmung jedes einzelnen sich gar nicht so viel geändert haben soll. Sicher gibt es beide Meinungen, die einen finden es gut, die anderen schlecht. Ich nehme aber an, dass immer noch eine Mehrheit die Fusion eine gute Sache finden oder sagen, dass es ein notwendiger Schritt war. Ich habe bisher jedenfalls keine grossen Missstimmungen vernehmen können. Gerade bei Herausforderungen, die noch auf uns zukommen – hier denke ich an den Tourismus oder die Raumplanung – bin ich überzeugt, dass wir so effizienter sein werden, als mit drei einzelnen Gemeinden. Ausserdem haben wir schon seit vielen Jahren gewisse Aufgaben zusammen gelöst oder lösen müssen; Feuerwehr oder Forst sind Beispiele hierfür.
SF: In welcher Form sind Sie als Gemeindepräsident der direkte Interessensvertreter des Rheinwalds innerhalb der Verwaltungsregion Viamala, eine von elf 2016 festgelegten Graubündner Regionen?
CS: Da gibt es die sogenannte Präsidentenkonferenz, bei der sich zweimal in Jahr die Gemeindepräsidenten innerhalb der Region treffen. Hier werden vor allem Themen wie die kommunale Raumplanung oder regionale Raumkonzepte behandelt, bei denen man natürlich für die Interessen der eigenen Gemeinde «vorspuren» muss. Das sind alles relativ grosse Planungsangelegenheiten, von denen ich auch nicht besonders begeistert bin. Wenn man gewisse Phasen davon nicht bereits in der gemeindeinternen Planung zumindest abgebildet hat, hat man einen schweren Stand, um die festgelegten Ziele zu erreichen.
Weiter haben die einzelnen Regionen oder weitere kleinere Regionen innerhalb der Region Aufgaben, in denen sie stärker sind. Bei uns ist es der Tourismus. Da muss ich dementsprechend versuchen, die Wichtigkeit des Wintertourismus in Splügen hervorzuheben. Die Schamser müssen hingegen dasselbe für den Gesundheitstourismus machen, usw. Dies mit dem Ziel, dass man – wenn dann mal Gelder zugesprochen und Entscheidungen gefällt werden – an vorderster Stelle ist. Hier sehe ich die Schwierigkeiten der Raumplanung insofern, dass darin die Zukunft sehr konzeptionell dargestellt und aufgezeichnet wird. Die Wirtschaft an sich ist aber meistens um einiges flexibler, was darin endet, dass man schlussendlich vielleicht unvorhergesehene Lösungen braucht und aufwändig durchdachte Pläne gar nicht zum Einsatz kommen.
Dies ist eigentlich unser Korsett; gerade bezüglich kommunalem räumlichen Leitbild. Themen wie die Zersiedelung und die damit verbundenen Aus- und Einzonungen sind für uns wahnsinnig aufwändige Unternehmungen. Dass Agglomerationen davon betroffen sind, ist auch mir klar. Jedoch ist aus meiner Sicht der administrative Aufwand für uns zum einen und die substanzielle Masse an Auszonungen, welche wir durchführen müssten, zum anderen viel zu gross. So gross, dass wir gar keine Reserven mehr hätten.
Allgemein sehe ich das Problem der Zersiedelung nicht. Auf der einen Seite ist man ja auch in der Lage gewisse Räume als potentialarm zu verzeichnen, da müsste man konsequent sein und sagen in Regionen, die eine hohe Bautätigkeit vorweisen, werden solche Anliegen nach raumplanerischen Gesichtspunkten angeschaut. Ich verlange nicht, dass man gerade in unserer Gemeinde bauen kann wie man will, aber ich glaube es nützt nichts, wenn man Bauzonenpotenzial ausscheidet, dass verschwindend klein ist, weil Bevölkerungswachstumsprognosen klein sind und der der letztendlich bauen will, möchte diese Zonen gar nicht. So wird das Potenzial, das für uns auch sonst schon nicht einfach auszunutzen ist, noch deutlicher eingeschränkt.
SF: Die fehlende Differenzierung in raumplanerischen Fragen ist natürlich auch etwas, mit dem ich mich beschäftige. Dies scheint also eine der grossen Herausforderungen in Ihrer Gemeinde zu sein?
CS: Dass solche Ansätze vielleicht in St. Moritz, an der Goldküste oder im Churer Rheintal nötig sind ist für mich selbstverständlich. Bei uns bedeutet es aber den schon angesprochenen grossen Planungsaufwand, andererseits nimmt es uns auch die Flexibilität die wir benötigen würden. Es ist nicht so, dass in der Fraktion Hinterrhein jedes Jahr fünf neue Wohnhäuser gebaut werden.
SF: Nochmals eine kurze Frage bezüglich Ihrer politischen Aufgaben. Gerade Graubünden weist ja ein grosses Spektrum an Interessensgemeinschaften auf, alleine schon sprachlich und wirtschaftlich. Können diese Interessen der Gemeinde auch direkt beim Kanton angebracht werden?
CS: Die Möglichkeiten gibt es, aber letztendlich liegt es am Willen der Gemeinden, wie fest man gehört wird. Zum einen gibt es den Grossrat der Gemeinde, mit dem langfristigere, grundsätzlichere Angelegenheiten besprochen werden können, und diese somit auf dem politischen Weg in den Grossen Rat getragen werden. Dann gibt es Projektanliegen, bei denen uns der ganze Verwaltungsapparat des Kantons zur Verfügung steht und an den man sich wenden kann. Erst kürzlich musste ich nach dem Unwetter im letzten Sommer mit dem Regierungsrat Kontakt aufnehmen. Auch bei der Thematik der ortsprägenden Bauten, dem Heimatschutz oder der Raumplanung gab es Fälle, bei denen wir mit dem Regierungsrat das Gespräch suchen mussten, was letztendlich positive Lösungsansätze ermöglichte.
SF: Sie haben schon die Wichtigkeit des Wintertourismus als eines der Standbeine der Gemeinde angedeutet. Welche Folgen haben die Loslösung der Bergbahnen von Viamala Tourismus und vom kantonsweiten Tourismusverbund im 2017 neben einer Privatisierung mit sich gebracht?
CS: Das wurde bereits wieder geändert, denn das Ganze hatte hauptsächlich mit der Umstrukturierungsstrategie des damaligen Verwaltungsrates zu tun, welche aus heutiger Sicht nicht nur gelungene Entscheidungen mit sich gebracht hatte. Was die Preisstrategie betrifft, wurde beispielsweise ein Weg gewählt, der sich heute nach drei Jahren als schwierig erweist. Ich bin selbst seit knapp einem halben Jahr Verwaltungsrat des Bergbahnunternehmens und kann sagen, dass wir – auch mit einem neuen CEO zusammen – gewisse Sachen ein wenig anders aufzugleisen versuchen.
Viamala Tourismus als ursprünglicher Tourismusverein Splügen/Rheinwald ist mit der Zeit gewachsen und umfasst mittlerweile auch die Regionen Schams, Avers bis ins Domleschg und Heinzerberg. Ganz aktuell ist das Ganze in einer Umbruchphase, in der der Verein entscheidet, keine operativen Aufgaben, wie beispielsweise Campingplatz und Skischule oder Eventorganisation zu übernehmen und nur noch für das Basismarketing zuständig zu sein. Das daraus entstehende Vakuum in der Aufgabenverteilung fällt jetzt natürlich auf die Gemeinde zurück.
SF: Der Wintertourismus scheint auch sehr stark auf den Tagestourismus gerichtet zu sein, nicht zuletzt dank des Anschlusses an die Autobahn A13. Welche Strategien werden hier auf kommunaler Ebene verfolgt?
CS: Die Umstände dafür sind historisch gewachsen, dank unserer Lage an einer Durchgangsroute. In diesem Sinne haben wir den Marktzugang zum Tessin. Der Tagestourismus ist auch wichtig für uns, weil wir ansonsten nicht über genug Betten verfügen. Diese Umstände führen dazu, dass wir sehr stark abhängig sind von Tagesgästen. Dies hängt wiederrum stark vom Wetter ab; an einem schönen Wochenendtag haben wir zwischen 3000-3500 Gäste, wenn das Wetter aber nicht mitspielt sieht das ganz anders aus.
Kurzfristig kann dies nicht gesteuert werden. Wir haben jedoch aktuell auf Initiative der Bergbahnen einen Masterplan mit dem Fokus auf den Tourismus und in dem die Grundaussage lautet, dass es in Zukunft schwierig wird, wenn man eine notwendige Grundauslastung nicht erreicht, was wiederrum ein Nebenangebot bedingt, das wetterunabhängig ist.
SF: Hat diese gute Erschliessung mit dem Automobil und der damit verbundene Tagestourismus eine Auswirkung auf den Wohnungsleerstand?
CS: Leerstand haben wir in diesem Sinne nicht einmal wirklich. Wer hier eine Wohnung sucht, hat sogar eher Mühe etwas Geeignetes zu finden. Was wir aber haben, sind vielen Zweitwohnungen, welche nicht weitervermietet werden und über das Jahr hindurch sehr wenig belegt sind. Anders gesagt; Die Zahl der kalten Betten ist hoch. Der Immobilienpreis und die Attraktivität des Immobilienstandortes hängen ihrerseits stark von der Existenz der Bergbahnen als Wirtschaftsmotor für die Region ab.
Klar gibt es leerstehende Bausubstanz, welche aber auch teils stark erneuerungsbedürftig ist. Der vorhandene, nutzbare Wohnraum ist hingegen – wenn auch nicht immer ausgelastet – grösstenteils in einem Besitz.
SF: Sie haben die Bergbahnen als Wirtschaftsmotor beschrieben. Welche konkrete Bedeutung haben diese tatsächlich für das Tal?
CS: Es ist und bleibt das grösste Unternehmen im Tal. Ebenfalls was die damit verbundenen Beschäftigungen betrifft, auch wenn diese nicht das ganze Jahr hindurch stattfinden. Es ist auch ein Angebot für Zweitwohner, die für uns eine grosse Wichtigkeit haben. Ich bin überzeugt, dass die Attraktivität des Tals davon abhängt. Es gibt halt Faktoren, welche letztendlich vielen Skibetrieben Schwierigkeiten bereiten und auch uns. Zum Beispiel die erwähnte starke Wetterabhängigkeit.
In diesem Sinn bräuchte es bald in der Zukunft eine Investition, welche das Potential der Region hervorhebt, denn der Betrieb ist für die Gemeinde alleine langfristig nicht tragbar. Dies muss natürlich auch zum Standort passen; wir haben nicht den Anspruch, die Lenzerheide oder Ischgl zu kopieren. Das Tal hat andere Potentiale; Beispielsweise die Nachhaltigkeit, die auch in der lokalen Landwirtschaft schon seit bald dreissig Jahren verfolgt wird.
SF: Wird diese Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft auch aktiv von der Gemeinde gefördert? Ich denke da beispielsweise an die Sennereigenossenschaften.
CS: Wir sind als Gemeinde in der glücklichen Situation, dass wir dafür gar nicht viel machen müssen. Die Gemeinde Sufers subventioniert ihrerseits den Sennereibetrieb, was auf ihre Eigenständigkeit zurückzuführen ist. Ich bin selbst Landwirt und Geschäftsführer der Sennerei in Nufenen und kann bestätigen, dass diesbezüglich keine Unterstützung der Gemeinde benötigt wird. Im Gegensatz dazu ist der Tourismus eine grosse Herausforderung für die Gemeinde, was finanzielle und operationelle Hilfestellungen betrifft.
Als Motor der Landwirtschaft dient natürlich die Agrarpolitik sowie der Markt. Wir waren punkto extensiver Landwirtschaft mit Nufenen und Hinterrhein die ersten zwei Gemeinden des Kantons, in denen vollflächig alle Bauern auf Bio-Landwirtschaft umgestellt haben, in Splügen passierte dies nur kurz später. Das Ganze entstand aus der Vermarktungsstrategie, denn man sah 1992 ein Potenzial darin, welches zu jener Zeit noch nicht so verbreitet war.
Dabei ist aus meiner Sicht für die Vermarktung und den marktwirtschaftlichen Aspekt klar, dass man sich über ein gutes, zuverlässiges Regelwerk von herkömmlichen Wirtschaftsweisen abgrenzen kann. Treiber ist dabei sowohl bei der Milch-, als auch bei der Fleischproduktion der Markt und seine Akteure. Am Beispiel der Molkerei in Nufenen kann ich sagen, dass gar 50% der Vermarktung im Ausland passiert. Dies konnte stattfinden, indem man sich seit zwanzig Jahren in jener Nische – Bio-Zertifizierung, Nachhaltigkeit und Bergherkunft – positioniert hat. Aber auch die Agrarpolitik, die dies fördert, ist ein wichtiger Faktor für uns, denn ich glaube schon, dass wir hier im Rheinwald Landwirtschaft so betreiben, wie dies die schweizerische Landwirtschaftspolitik vorsieht.
Die Gemeindeaufgaben beschränken sich in diesem Sinne auf Verteilung, Verwaltung und Verpachtung von Land, welches ihr gehört, an die Bauern.
SF: Wie geht die Gemeinde in Sachen Energie-Infrastruktur vor? Gibt es Stromerzeugungsanlagen zur Deckung des Eigenbedarfs?
CS: Es gibt verschiedene Kleinkraftwerke, die die einzelnen Fraktionen schon vor der Fusion errichtet haben. So gibt es beispielsweise PV-Anlagen auf Alpgebäuden, verschiedene Kleinwasserkraftwerke mit kostendeckender Einspeisevergütung (KEV) oder ein Flusskraftwerk in Hinterrhein, welches aber nicht der Gemeinde gehört. Dieses Jahr haben wir ein Projekt am Hüscherabach in Splügen, bei dem das neunzigjährige bestehende Kraftwerk, zusammen mit ALPIQ für rund 10 Mio. CHF saniert und modernisiert wird. Es wird nicht mehr als KEV-Kraftwerk betrieben, denn der Strom muss auf den Markt und wird dort für den aktuell eher tiefen Preis verkauft.
Erneuerbare Energie ist sicher ein wichtiger Aspekt. Es war sogar mal ein Windkraftanlage in Hinterrhein bzw. auf dem San Bernardino-Pass geplant, welche ich persönlich unterstützt hätte. Es wäre bezüglich erneuerbarer Energie für die Gemeinde interessant gewesen und hätte in einer Landschaft gestanden, in der sowieso schon eine Hochspannungsleitung, Tunnelinfrastruktur und die Passstrasse stehen. Letztendlich scheiterte das Projekt an der Wirtschaftlichkeit, welche durch den Widerstand bzw. den Bau von nur drei der ursprünglich sechs geplanten Anlagen nicht mehr gegeben gewesen wäre.
SF: Zur Infrastruktur gehört auch die Mobilität; sehen Sie beim ÖV einen Nachteil an der Anhängigkeit des Postautos?
CS: Ich denke wir sind im Allgemeinen gut angeschlossen. Die Wichtigkeit der Achse Chur-Bellinzona spielt uns natürlich in die Karten und ist der Vorteil an unserer Lage. So gibt es die Schnellkurse, auf die man hier zu- und absteigen. Der Anspruch auf ein 30-Minunten-Takt wäre natürlich ein wenig zu hochgegriffen, vorteilhaft wäre vielleicht jeweils einen Kurs früher am Vormittag und einen später am Abend zu haben. Aber auch diesbezüglich gibt es abends einen Taxibus, welcher spätere Fahrten übernimmt.
Ich habe da auch ein Verständnis für den ÖV-Betreiber, der an eine gewisse Auslastung gebunden ist. Grundsätzlich sind wir aber wirklich zufrieden, denn auch die Passierbarkeit im Winter ist quasi immer gewährleistet. Klar ist auch, dass wir regional auf das Auto angewiesen sind, denn es ist einfach ein wenig schwieriger als zum Beispiel in der Stadt.
SF: Zuletzt habe ich noch eine Frage zur demographischen Struktur, genauer denke ich da natürlich an Themen wie Zu- und Abwanderung. Gibt es da eine bemerkbare Wandlung in der Gemeinde Rheinwald?
CS: Tendenziell gibt es natürlich einen leichten Rückgang, der wiederum aber auch nicht extrem ist. Details dazu werden im Kommunalen räumlichen Leitbild abgehandelt. Dort werden beispielsweise Bevölkerungsentwicklung und aktueller Stand genauer erörtert.
Innerhalb der Gemeinde schwanken die Zahlen relativ stark. Die Fraktion Nufenen, hat beispielsweise in den letzten paar Jahren sehr viele Schulkinder aufgewiesen, im Gegensatz zur Fraktion Splügen.