Gespräch mit Prof. Dr. Peter Moser,
Zentrum für wirtschaftspolitische Forschung (ZWF) an der FHGR,
05.06.2020
Peter Moser: Ich habe im Voraus einige Fragen, welche die Fragestellung Ihrer Arbeit betreffen, denn Subsistenz und Suffizienz sind Themen, die mir eher fremdliegen. Was ist das Ziel der von Ihnen beschrieben Entwicklung für die Region?
Sven Fawer: Diese Frage ist durchaus berechtigt. Bei einer Besprechung meiner Arbeit wurde mir erst kürzlich die Frage gestellt, was denn nun die Gründe dafür sein könnten, durch die Talgenossenschaft eine grössere wirtschaftliche Unabhängigkeit zu erlangen und zum Beispiel auf staatliche Subventionen zu verzichten. Diese Frage gilt es nun zu klären, denn bis anhin bin ich immer davon ausgegangen, dass die Gemeindefusion eine Chance für einen Neuanfang darstellt, also auch bezüglich der Organisation der Gemeinde, sei es auf der politischen, gesellschaftlichen oder wirtschaftlichen Ebene.
PM: Man nehme an, dass man entscheidet auf diese Zuschüsse von Ausserhalb zu verzichten – auf diese kommen wir wahrscheinlich noch zu sprechen – dann versucht man dank Suffizienz mit weniger trotzdem glücklich zu sein. Oder man versucht die fehlenden Zuschüsse mit anderen Leistungen und Wertschöpfungen zu ersetzen, so dass man dasselbe Einkommen beibehält und immer noch Netflix schauen kann. Anders gesagt, man würde durch andere, neue Leistungen am Markt mehr verdienen.
SF: Suffizienz bedeutet in diesem Sinne sicherlich, dass man auch auf gewisse Sachen verzichtet und auch die Ausgaben und den Konsum minimiert, zum Beispiel dank einer effizienteren Wirtschaftsweise. Es kann aber gleichzeitig auch bedeuten, dass man eben nicht mehr soviel produziert und vermarktet, weil man mit weniger zurechtkommt. Weiter muss man womöglich auch bereit sein, manche Leistungen selbst zu übernehmen.
PM: Das ist natürlich schon provokativ, gerade für eine Region, die unter Abwanderung leidet. Die Einkommen sind in solchen Regionen schon vergleichsweise tief. Nach Ihrer Meinung müsste man also mit noch weniger zurechtkommen und quasi einfacher leben?
SF: Diesen Denkansatz vertrete ich ein Stück weit, denn ich glaube schon, dass ein Wandel in Sachen Lebens- und Wirtschaftsweise mittelfristig stattfinden kann oder sogar muss. Ich sehe aber auch, dass dieser Gedanke nicht grundsätzlich von ungefähr kommt, denn auch in diesen Regionen sind solche Ansätze durchaus vorzufinden. Andererseits geht es mir mit meinem zugegeben eher radikalen Ansatz darum, auch gewisse Potenziale aufzuzeigen. Dabei steht der Gedanken im Zentrum, weg von dieser Einstufung als potenzialsarme Gegend zu kommen. Eine Wertung, welche primär ausserhalb der Region entsteht aber ebenfalls vor Ort selbst die Menschen durchaus beschäftigt.
PM: Wir Ökonomen – zumindest die Meisten – sind ja eher materialistisch orientiert, denn wir gehen davon aus, dass die Menschen eher mehr als weniger wollen. Dies deckt vielleicht 90% der Menschen ab, aber nicht alle. Man hat natürlich immer Aussteigergebiete, an die Leute herziehen, die alternative Lebensentwürfe oder ein einfaches Leben angehen wollen. In diesen Randregionen trifft man dies auch eher an, denn man wird dort vor allem mit immateriellem Wert entschädigt.
Bei der Studie, die Sie zitieren und welche ich vor einigen Jahren durchgeführt habe, war die Zielsetzung herauszufinden, ob man dank einem kulturellen Angebot mehr Wertschöpfung in solche Regionen bringen kann. Wertschöpfung heisst letztendlich auch Einkommen, und dass Leute lokal produzieren können. Die Erkenntnisse waren verschieden, denn in gewissen Fällen geht es und in anderen eher weniger.
Angenommen man würde in Splügen ein Jazz-Festival machen, bei dem die Leute von Ausserhalb herkommen, spielen und wenn es vorbei ist, den Ort wieder verlassen. Dann heisst das, dass vielleicht die Dorfmetzgerei einige Bratwürste mehr verkauft und weiteres wahrscheinlich nicht.
Anders ist zum Beispiel das Origen Festival, das Sie auch angesprochen haben. Klar sind auch dort die Künstler hauptsächlich für einen Anlass da, aber die Kostüme werden lokal produziert in Riom. Man hat eine Schneiderei dafür eingerichtet. Man versucht möglichst viel Wertschöpfung rund um das Projekt – in diesem Fall ist es Kultur, es wäre aber auch für Landwirtschaft möglich – vor Ort zu generieren. Ökonomen nennen das die «Wertschöpfungstiefe», welche am Standort vorhanden ist.
Es ist dann nicht nur Selbstversorgung, denn es kommen ja auch Gäste von überall her. Ein Platz für ein Schauspielstück kostet ja 100 CHF. Es ist so trotzdem eine Art Exportleistung, weil die Gäste von Ausserhalb kommen. Ähnlich ist dies ja in Andeer oder Splügen, von wo man Käse überallhin exportiert. Es handelt sich um ein Exportprodukt, mit dem lokal eine tiefe Wertschöpfungskette verbunden ist und an der viele arbeiten können. Aus ökonomischer Sicht gibt dies auch eine Perspektive für die Leute.
SF: Eine grundsätzliche Frage, die ich mir stelle ist diejenige, ob es denn etwas vollkommen Neues in Rheinwald geben sollte oder ob es auch möglich ist, auf bestehenden Strukturen aufzubauen. Zum Beispiel bei der erwähnten Käseproduktion oder vielleicht auch beim Potenzial der vier zum Verkauf stehenden Hotelhäuser, allem voran dem Bodenhaus in Splügen, welches durchaus eine gesellschaftliche Rolle für das Tal spielte und immer noch spielt. Diesbezüglich würde die Frage aufkommen, wer ein geeigneter Käufer dafür wäre und wie eine Strategie für die Weiterführung des Gasthauses aussehen würde. Die Gefahr sehe ich darin, dass wie beim Beispiel des Kulturhotels Piz Linard in Lavin der Eindruck entstehen kann, dass das ganze Dorf sich auf diesen einen Betrieb abstützt und davon abhängt.
Auch die Infrastruktur und vor allem die Solarenergie stellt ein Potenzial dar. Ich denke aber, dass diese höchstens zur Deckung des Energiebedarfes einer anderen Wertschöpfungskette dienen sollte, zumal man schnell in ein Muster hineingleitet, dass dem Bau von Staumauern und Seen Mitte des 20. Jahrhunderts ähnelt und das Potenzial von Bergregionen alleine auf diese Infrastruktur reduziert.
PM: Staumauern bringen eben eigentlich nichts, denn sie sind immer sehr kapitalintensiv und haben viel Infrastruktur mit sich gebracht. Aber sie sind nicht arbeitsintensiv, denn steht die Staumauer mal, braucht sie nicht viele Arbeitskräfte. Zudem wurden sie meistens nicht mit lokalen Arbeitskräften gebaut. Solaranlagen brauchen hingegen wenig Infrastruktur, aber auch sie generieren letztendlich wenig Arbeit.
Mit der Studie über Kulturanlässe haben wir folgendes gemerkt. Wenn man will, dass Wertschöpfung in der Region entsteht, dann gibt es zum Beispiel die Gastronomie. Wenn diese lokal ist, kann die Bäuerin oder der Bauer seine Produkte auch so verkaufen. Anderseits gibt es auch Beschäftigung, denn Gastronomie ist sehr arbeitsintensiv. Natürlich besteht noch die Frage, ob die Beschäftigten in der Region wohnhaft sind. Aber grundsätzlich werden durch diese Branche viele Arbeitsstellen generiert.
Schaut man sich hingegen die heutige Fleischproduktion an, wird nicht mehr viel vom Viehzüchter selbst nach der Tierhaltung übernommen, denn fast alles ist automatisiert. Ähnliches haben Sie in Ihrer Arbeit über die Sennerei in Nufenen erörtert, bei der ein Roboter einen grossen Teil der Arbeit übernimmt und so eine sehr kapitalintensive Produktion entsteht. Natürlich kann man das dort auch machen, weil der Anschluss zur Autobahn besteht. Man kann den Käse quasi direkt auf den 40t-Lastwagen verladen, was eine andere Käserei in einem abgelegenen Tal nicht tun könnte.
SF: Die A13 ist ja ohnehin Fluch und Segen zugleich für Rheinwald. Einerseits hat man den Vorteil des wirtschaftlichen und geographischen Standortes, andererseits wird die Talschaft doch von den relativ hohen Emissionen belastet. Die Frage lautet im Moment, ob es diesbezüglich eine Strategie gäbe, denn die Autobahn scheint für das Tal vital zu sein.
Um nochmals auf das Thema der Wertschöpfung zu kommen; ich frage mich nach wie vor, wie die Gemeinde zu wirtschaftlichem Wachstum steht, wieviel davon nachhaltig ist und letztendlich notwendig wäre, damit die Talgenossenschaft sich selbst erhalten kann.
PM: Das Problem sieht man im Kanton Graubünden exemplarisch. Es gibt eine Abwanderung aus den Randregionen, dafür boomt das Churer Rheintal. In den Bergregionen oben wird es zum Beispiel für den Bäcker immer schwieriger zu überleben, wenn er nur für die lokale Bevölkerung produziert, weil diese immer mehr schrumpft. So fällt es ihm schwer sich zu spezialisieren, es sei denn er hat ein bestimmtes Produkt, dass er exportieren kann. Ansonsten ist der Markt einfach zu klein, er muss irgendwann aufgeben und ist gezwungen wegzuziehen. Entlang des A13-Korridors ist dies vielleicht nicht so ausgeprägt, weil durch die Autobahn auch viele pendeln können.
SF: Die A13 ist auch für einen Tourismus wie er heute funktioniert entscheidend, zumal man sich in Rheinwald stark auf den Tagestourismus ausgerichtet hat. Diese Art des Tourismus ermöglicht aber auch weniger Potenzial, um lokale Wertschöpfungsketten aufzubauen, weil ein grosser Teil der Gäste am Ende des Tages wieder wegfahren.
PM: Einerseits geht es um Produkte, die man exportiert, andererseits geht es um Gäste, die kommen. Diesbezüglich möchte man vielleicht schon die Verweildauer der Gäste erhöhen, da so mehr Wertschöpfung daraus resultiert. Dann wiederum besteht eine Frage der Kapazität der vorhandenen Infrastruktur wie Hotels.
Vergleicht man nun Rheinwald mit anderen Regionen, zum Beispiel mit dem Puschlav; Dieses Tal ist weniger gut mit dem Auto erreichbar, dafür mit dem ÖV sehr gut erschlossen. Auch dort reisen die Leute am Abend wieder ab und es ist schwierig, die Leute im Tal zu behalten.
Etwas möchte ich noch an dieser Stelle ansprechen, nämlich die Sache mit den Agrarsubventionen, welche Sie in der wirtschaftlichen Rechnung der Gemeinde abziehen. Man muss an dieser Stelle ein wenig aufpassen, obwohl ich keineswegs Anhänger von Agrarsubventionen bin. Ein Stück weit ist ein Teil dieser Zahlungen auch ein Entgelt für die Bereitstellung von ökologischer Landwirtschaft. Im konkreten Fall handelt es sich ja um Biolandwirtschaft, welche noch mehr Zahlungen erhält, damit diese sorgfältiger mit der Natur umgehen kann, um so – hoffentlich – die Biodiversität besser zu erhalten. Ökonomisch gesehen handelt es sich also auch um ein öffentliches Gut, wofür die Gesellschaft bereit ist, ein Stück weit dafür zu bezahlen. Es handelt sich somit nicht nur um Subvention oder Einkommenstransfer, denn es ist auch eine Leistung, welche diese Leute herstellen. Ich glaube, man kann nicht alles daran einfach negativ sehen.
SF: Ich verstehe das Konzept, das Sie erklären und ich bin mir auch der Direktheit meiner Aussage bewusst. Was ich aber spüre ist, dass sich nicht jede Bäuerin oder Bauer grundsätzlich nur ein Wirtschaften mit Direktzahlungen vorstellen kann. Im Gespräch mit Jürg Flückiger, dem Käser in Splügen, erwähnte dieser einen Gedanken, den er und einer seiner Milchbauern vor ein paar Jahren hatten. Sie versuchten einzuschätzen, wieviel ein Liter Milch dem Landwirt mehr einbringen müsste, damit dieser ohne Unterstützung durch die Agrarpolitik über die Runden käme. Sie schätzen dabei etwa einen Franken pro Liter Mich mehr würde dafür reichen. Dies scheint auf dem ersten Blick viel zu sein, rechnet man aber weiter in der Wertschöpfungskette, also in der Käseherstellung und Vermarktung, bedeutet dies gar nicht einmal so viel mehr Geld, das man für ein Kilogramm Käse verlangen müsste, nämlich rund 10 CHF. Ich glaube auch, dass dieser Mehrpreis bei der momentanen gastronomischen Erfolgsgeschichte von qualitativen Milchprodukten und der Kaufkraft, die wir in der Schweiz haben durchaus vertretbar wäre. So würde man letztendlich auch die nachhaltige Landwirtschaft fördern, einfach auf eine andere Art und Weise.
PM: Vielleicht kommen wir so nun zu Ihrer Methodik und den Berechnungen.
SF: Bei einem Teil meiner Arbeit unternehme ich den Versuch, eine Art Haushaltsbudget für die Gemeinde Rheinwald zu berechnen. Dabei beziehe ich sämtliche privaten, unternehmerischen und administrativen Einnahmen und Ausgaben innerhalb der Gemeinde mit ein – so gut dies geht. Natürlich entspricht dieser Berechnungsteil nicht ganz der wissenschaftlichen Vorgehensweise eines Ökonomen, sondern eher einer unternehmerischen Budgetplanung für die von mir vorgeschlagene «Talgenossenschaft».
Der momentane Stand zeigt ein relativ deutliches Defizit von 1.5 Mio. CHF, das allerdings alleine auf die Bilanz abzüglich der Agrarsubventionen von Bund und Kanton zurückzuführen ist und das es dank der entsprechenden Nutzung vorhandener oder neuer Potenzialen zu decken gälte. Ginge man davon aus, dass man das Defizit auf 1 Mio. CHF durch Suffizienz und Subsistenz reduzieren kann, würde dies bei total 600 Einwohner*innen rund 1'600 CHF mehr Wertschöpfung pro Kopf im Jahr bedeuten, was durchaus machbar zu sein scheint.
Sehr direkt gefragt; scheint Ihnen diese Methodik für diesen ökonomischen Teil meiner Arbeit plausibel? Ich habe in Ihrer Studie über die «Wertschöpfung ausgewählter repräsentativer Kulturangebote in Graubünden» durchaus ähnliche Ansätze gesehen. Natürlich benutzen Sie dabei genauere Terminologien aber auch präzisere Datenerhebungen, was Ihnen erlaubt, komplexe Wirkungszusammenhänge einer lokalen Wirtschaft genauer zu analysieren.
PM: Grundsätzlich gibt es bei Ihrer Vorgehensweise Parallelen zu unserer Studie über Kulturangebote, denn es geht letztendlich um Wertschöpfung. Es spielt dabei keine Rolle, ob dies nun ein Anlass oder die Käseproduktion ist, denn einfach gesagt wird etwas hergestellt. Wertschöpfung ist Umsatz minus Vorleistungen. Der Umsatz kann daraus entstehen, dass man etwas Ausserhalb verkauft oder dass Gäste von ausserhalb kommen und etwas vor Ort nutzen. Umsatz kann aber auch in der Region entstehen; das Baugeschäft, das einen lokalen Auftrag hat. Weiter ist wichtig, woher man die Vorleistungen bezieht; einige muss man ausserhalb der Region einkaufen, zum Beispiel die Jazzband oder ein bestimmtes Bauprodukt. Oder sie stammen aus der Region, zum Beispiel das Holz, das man mit dem lokalen Schreiner bearbeiten kann, und auch eine lange Wertschöpfungskette bedeuten kann. Weiter spielt es eine Rolle, wo meine Angestellten leben. Sind es Pendler*innen oder wohnen sie in der Region. Letztlich muss man möglichst viel Wertschöpfung in der Region behalten, damit auch etwas bleibt. Umsatz und Vorleistungen sind somit am wichtigsten, dann kommt der Produktionsprozess. Dies entspricht der vereinfachten Denkweise, wie wir vorgehen würden und so steht es auch in der Literatur. Ich sehe, dass Sie ähnliche Ansätze haben, aber Sie verwenden teilweise eine andere Terminologie. Es kommt natürlich immer auf das Publikum der Arbeit an, für mich ist die Rechnung vielleicht auch in der Darstellung noch ein wenig ungewohnt.
SF: Wie schon angetönt, beruht das Konzept der Talgenossenschaft unter anderem darauf, dass Wachstum innerhalb nur sofern stattfinden soll, bis sie sich letztendlich selbst erhalten kann. Dies soll sowohl durch Suffizienz als auch durch Subsistenz erreicht werden. Die Akzeptanz solcher Ansätze bei der Bevölkerung wird diesen Sommer im Rahmen einer Art Dokumentarfilm noch genauer ergründet. Aus meiner Sicht könnten nämlich solche Ansätze als Zielsetzung einer Region ebenso für eine lokale Kulturlandschaft stehen und ihr eine ähnlich nachhaltige Ausstrahlung verleihen, wie zum Beispiel ein bestimmter kultureller Anlass anderswo.
PM: Ihre Aussage über Wachstum ist normativ und in der Ökonomie haben wir auch eine normative Diskussion darüber. In diesem Fall wäre es das Konzept der nachhaltigen Entwicklung, welches nun auch sehr bekannt ist. Dabei geht es zum einen um Einkommen, aber eben auch um einen sozialen Aspekt, Ungleichheiten und um den ökologischen Aspekt. All dies müsste idealerweise im Gleichgewicht stehen. Also nicht alleine viel Einkommen ist relevant, sondern wie sind die Einkommen verteilt und wie findet Produktion und Konsum statt. Findet dies dauerhaft statt oder zum Beispiel auf Kosten der Natur? Dies sind die aktuellen Wachstumsdiskussionen in der Ökonomie.
Mit Suffizienz und Subsistenz kenne ich mich wie gesagt nicht so genau aus, aber beide stehen schon in Bezug zu diesen bestehenden Konzepten und lassen sich auch dort einordnen. Doch was heisst es nun für diese konkrete Region?
SF: Ich denke ein zentraler Aspekt sind die Kreisläufe, die Sie ebenfalls zum Thema der Wertschöpfungsketten geschildert haben. Im Gespräch mit Professor Stefan Forster von der ZHAW, hat er mir diesbezüglich ein paradoxes Beispiel erklärt. Als er vor einigen Jahren ein Workshop mit der Bevölkerung in Nufenen – damals noch eine eigene Gemeinde – durchführte, welcher das Thema der Biolandwirtschaft als Kernpunkt hatte, kam heraus, dass genau hier wo Bioprodukte hergestellt und auch ein Haltung gewissermassen vertreten wird, viele Leute Produkte für sich in Discounter im Tal weiter unten bezogen. Natürlich mag sich dies heute ein Stück weit geändert haben, denn wie Prof. Forster sagte, auch Rheinwald ist urban geworden. Dennoch empfinde ich dieses Phänomen als sinnbildlich für die Schwierigkeiten in der ganzen Diskussion. Mir ist bewusst, dass die Idealvorstellung, die ich bei dieser Arbeit vertrete, durchaus eine verschönerte Vorstellung sein mag, welche grundsätzlich nicht so einfach und nachhaltig umzusetzen ist. Dabei ist mir aber auch wichtig, durch meine These gewisse Denkanstösse zu geben, die mit den aufgezeigten Potenzialen nicht komplett realitätsfern sind.
PM: Man muss schon sehen, dass Bioprodukte vor allem in den Städten gekauft werden, denn dort ist der grösste Markt für exklusive Produkte, die von Leuten mit hohen Einkommen gekauft werden. Der Tourismus ist dabei eine Art Türöffner dafür, denn es sind in der Regel ebenfalls diejenigen Leute mit hohen Einkommen, welche reisen und irgendwo übernachten. Sie haben dann vielleicht ein positives Erlebnis, das geht auch mir manchmal so. Man freut sich zum Beispiel ab dem guten Käse, und man bezieht diesen dann anderswo wieder, heute auch dank Versandhandel.
SF: Konzeptuell in einer verwandte Richtung zielt der neue Naturpark Beverin, von dem auch Rheinwald seit kurzem ein Teil ist. Nicht nur lokale Lebensmittel, auch Handwerk und anderes wird in diese Nachhaltigkeitsbestrebung miteinbezogen und unter diesem Merkmal nach Aussen vermittelt bzw. vermarktet.
PM: Man ist dabei bemüht die angesprochenen Wertschöpfungsketten tiefer zu gestalten. Mit dem Park versucht man mehr Aufmerksamkeit auf die Region und deren Produkte zu erhalten, um so mehr Wertschöpfung und Einkommen zu generieren.
Persönlich kenne ich mich im Safiental aus, das ja auch ein Teil dieses Parks ist. Die dortige Schreinerei hat zum Beispiel das Problem, dass sie Arbeitskräfte finden muss, welche bereit sind, an einem solchen Ort zu arbeiten. Man kann nicht einfach so dorthin pendeln, denn alleine von Bonaduz aus hat man schon fast vierzig Fahrtminuten. Das heisst, der Betrieb muss Leute finden, welche im Tal bleiben oder sogar hinziehen. Dazu kommt auch, dass man qualifizierte Handwerker*innen finden muss, welche grundsätzlich Mangelware sind.
SF: In meinem konkreten Beispiel von Rheinwald gibt grundsätzlich sehr gut ausgebildete Leute, auch wenn diese ihre Ausbildung teilweise ausserhalb des Tals erhalten haben. Interessant wäre aber zu erfahren, wie sie ihr Fachwissen in Zukunft nutzen wollen, also ob die jungen Fachkräfte auch auf Dauer im Tal bleiben wollen.
PM: Aus meiner Sicht ist nicht nur entscheidend, dass diese bleiben, sondern auch, dass neue hinzukommen. Wenn ich sehe, wo Innovationen in solchen Gegenden passieren, findet man diese meistens bei Zuzügern. Beispielsweise der Gastronomiebetrieb Bergalga in Juv im Avers, der ebenfalls eine Genossenschaft ist: es handelt sich dabei auch eher um Zuzügern, die neues Leben ins Tal bringen.
Es braucht also eine bestimmte Form von Attraktivität, und da käme womöglich schon dieser Suffizienzgedanke mit ins Spiel. Die Leute kommen nicht hierher, weil sie ein hohes Einkommen haben wollen, dafür haben sie eine hohe Lebensqualität oder womöglich eine Dorfgemeinschaft. Dabei muss diese sie dann auch noch willkommen heissen, damit sie sich wohlfühlen – etwas was nicht überall in Graubünden gleich ist. Es braucht etwas, dass die Menschen motivieren soll, ihren Lebensmittelpunkt hierher zu verlegen. Diesbezüglich ist es in manchen Regionen besser als in anderen. Ich weiss nicht, wie dies in Splügen ist. Das Oberland hat eher Probleme damit. Hingegen hat das Unterengadin relativ viele Menschen, die dorthin ziehen, weil es eine offenere Kultur ist.
SF: Prof. Stefan Forster benutzte für was Sie hier beschreiben den Begriff der sozialen Innovation. Demzufolge reicht es nicht aus, wenn Menschen kommen und konsumieren können. Die Menschen, welche kommen haben auch ein spezifisches Interesse oder eine Haltung zum Ort und seiner Lebens- und Wirtschaftsweise. Dadurch finden Sie eine bestimmte Attraktion für sich vor Ort. Wichtig ist aber, dass sie ihre Haltung dazu einbringen können. Wenn dieser Raum nicht besteht, muss man ihn dementsprechend erschaffen, um Innovation daraus ziehen zu können.
Etwas anderes, das mich im Laufe meiner Arbeit zu interessieren begonnen hat, ist das Konzept einer lokalen Währung. Hauptsächlich habe ich dazu in Bezug auf die Transition Bewegung gelesen, die ja mittlerweile auch in manchen Schweizer Städten angekommen ist. Im englischen Städtchen Totnes, wo die Bewegung ihren Ursprung hat, wurde dabei eine eigene Währung in Umlauf gesetzt mit dem Ziel, das lokale Gewerbe zu stärken und ihm einen Aufschwung zu verleihen. Die Währung wurde nun von digitalen Zahlungsmitteln abgelöst, aber auch diese schliessen eine identitätsstiftende lokale Ökonomie nicht aus. Wie stehen Sie dazu?
PM: Es gibt ja immer wieder neue Währungen. Gerade in wirtschaftlichen Krisensituationen gibt es öfters solche Bestrebungen, ein lokales Zahlungsmittel einzuführen. Als Ökonom runzelt man immer zuerst die Stirn, weil es in erster Linie einen unheimlichen Aufwand bedeutet. Auch das Beispiel von Twint hat Ähnlichkeiten mit diesem Phänomen. Nun kann man damit im Hofladen bezahlen statt mit Münzen. Auch an der Parkuhr kann man ja unterdessen mit Apps bezahlen.
Das Problem der lokalen Währung ist aus meiner Sicht in erster Linie, dass es für den Kunden mühsamer ist. Das hat man auch mit dem WIR-Geld für Handwerker gesehen, denn es besteht immer die Frage, wie man es wieder loswird. Bis jetzt hat mich das Ganze noch nicht so überzeugt.
Andererseits hat man ja heute all diese Punktesammelsysteme. Vielleicht gibt es die Möglichkeit im Rahmen eines digitalen Punktesystems für regionale Treue etwas ähnliches aufzubauen. Diese Punkte könnte man dann auch in der Region wieder einlösen. Man muss aber bei Apps auch sehen, dass jeder diese herunterladen muss und ich weiss nicht, wie technologieaffin die Leute manchmal wirklich sind.
SF: Bei der Transition Bewegung geht es auch um Tauschhandel, der die lokale Bevölkerung motivieren soll, lokal zu konsumieren, was letztendlich auch lokales Produzieren miteinschliesst.
PM: Erst kürzlich habe ich etwas gelesen, das in dieselbe Richtung geht. Im Kanton Waadt wurde für einen lokalen Lebensmittelladen, welcher schliessen musste, eine Art Container hingestellt, der ähnlich funktioniert, wie der Kiosk im Hauptbahnhof in Zürich. Es gibt kein Verkaufspersonal und als Kunde kommt man über eine App-Lösung in den Laden. Die regionalen Landwirtinnen und Landwirte liefern dort ihre Produkte selbst an. Anfangs war es, so glaube ich, eher gedacht für Gäste, es hat sich dann aber herausgestellt, dass auch die lokale Bevölkerung den Laden oft besucht hat. Es ist also wie ein Hofladen, nicht nur für einen Hof, sondern für mehrere. Es funktioniert so gut, dass der Betreiber sogar an verschiedene Orte nun expandieren will. Natürlich gab es mit der Corona-Krise auch einen Push für solche Hofläden. Aber es war schon davor in Betrieb und wurde auch zu einer Art Treffpunkt für die lokale Gesellschaft.
Ich finde es ein spannendes Konzept. Ich glaube, das Anliegen ist überall das gleiche, also dass man vermehrt auch lokal einkauft. Mit dem Onlineangebot vergisst man heute oftmals, dass man die Sachen auch um die Ecke erhalten könnte. Mit dem Corona-Lockdown wurde einem das Ganze auch ein wenig bewusster; statt bei Zalando einzukaufen, geht man für seine Socken zum Laden um die Ecke, damit dieser seine Sache verkaufen kann.
Das Lokale kann so in der physischen aber eben vielleicht auch in der digitalen Welt einen besseren Zugang erhalten. Dabei glaube ich, dass nicht die Währung das entscheidende ist, sondern die Verfügbarkeit.
SF: Da Sie eher kritisch gegenüber den lokalen Währungen eingestellt sind, hacke ich nochmals nach. In der Theorie geht es ökonomisch auch darum, dank einem lokalen Zahlungsmittel nur eine begrenzte Anzahl an Mittel innerhalb einer begrenzten Entität in Umlauf zu setzen. So ist man auch unabhängiger vor Spekulationen am Markt bzw. das Konzept verspricht letztendlich mehr finanzielle Stabilität und Sicherheit.
Auf der anderen Seite braucht es ja wiederum jemanden vor Ort, der das Ganze verwaltet und die eigene Währung gegenüber der Landeswährung vertritt. Einfach gesagt braucht es eine Bank oder zumindest eine Institution, die diese Rolle übernimmt.
PM: Klar, man muss die Währung ja stabil halten, zumindest in erster Linie zum Schweizer Franken. Spätestens hört es aber dann auf, wenn man die Leute fragt, ob sie ihren Lohn in dieser Währung haben wollen und auch ihr Konto damit führen wollen. Eine kleine Kasse, in der ich höchstens ein Gegenwert von ein paar hundert Franken davon habe, wäre vielleicht noch realistisch. Ich denke aber schon, dass wenn es zum Lohn kommt, die Leute eine Währung haben wollen, in die man Vertrauen hat. Bei Geld geht es immer um Vertrauen, und dieses ist sehr schwierig aufzubauen. Gerade in der Schweiz ist es etwas, das über Generationen besteht. Die Menschen vertrauen dem Franken und der Nationalbank, darum sind hier neue Währungen eher schwierig einzuführen.
Mir ist in Ihrer Arbeit noch das Stichwort der monokulturellen Wertschöpfung aufgefallen. Ich denke das ist ein wichtiger Punkt, denn er ist in der Ökonomie ein wenig ein Dilemma. Man weiss, wenn man sich auf etwas spezialisiert, wird man produktiver und dies ermöglicht auch höhere Löhne. Aber, je mehr man sich spezialisiert, desto verletzlicher wird man, wenn am Markt etwas wegfällt. Deshalb versucht man sich ein wenig zu diversifizieren und verschiedene Sachen herzustellen. Aber je mehr man sich wiederum in einer Region diversifiziert, desto weniger produktiv ist man. Auf ein ganzes Land bezogen kann man das eher anwenden, weil es viele Menschen sind. In einer so kleinen Gemeinde ist dieser «Spagat» aber schwieriger, gerade wenn man abhängig ist von Tourismus oder Landwirtschaft. Das sah man auch kürzlich mit dem Corona-Lockdown, durch den ein Teil der Saison wegfiel und man nun hofft, dass dieser Teil in der kommenden Saison nachkommt.
SF: Gerade in Rheinwald stützt man sich explizit auf den Wintertourismus ab, obwohl dieser viele Unsicherheiten mit sich bringt, alleine schon wetterbedingt. Es gibt aber auch Bestrebungen, die dem Sommertourismus mehr Aufmerksamkeit schenken, nicht zuletzt deswegen, weil dieser eine längere Saison bedeutet. Ein Beispiel ist die Vermarktung als Wanderdestination mit der sogenannten «vwiaSpluga», dem historischen Säumerpfad.
PM: Der Trend in Sachen Tourismus ist klar. Nämlich, dass es immer stärker in Richtung Sommertourismus geht. Darum auch die zahlreichen Bestrebungen mit Kulturanlässen. Es ist aber einfach so, dass der Gast im Winter an einem Tag mehr ausgibt, als derjenige im Sommer. Aber wie Sie sagten hält die Sommersaison dafür länger an. Zudem zieht es, wenn die Temperaturen weiter steigen, mehr Menschen in die Höhe, wo es frischer ist.
* Anmerkung SFa: Unique selling proposition
Gespräch mit Prof. Dr. Peter Moser,
Zentrum für wirtschaftspolitische Forschung (ZWF) an der FHGR,
05.06.2020
Peter Moser: Ich habe im Voraus einige Fragen, welche die Fragestellung Ihrer Arbeit betreffen, denn Subsistenz und Suffizienz sind Themen, die mir eher fremdliegen. Was ist das Ziel der von Ihnen beschrieben Entwicklung für die Region?
Sven Fawer: Diese Frage ist durchaus berechtigt. Bei einer Besprechung meiner Arbeit wurde mir erst kürzlich die Frage gestellt, was denn nun die Gründe dafür sein könnten, durch die Talgenossenschaft eine grössere wirtschaftliche Unabhängigkeit zu erlangen und zum Beispiel auf staatliche Subventionen zu verzichten. Diese Frage gilt es nun zu klären, denn bis anhin bin ich immer davon ausgegangen, dass die Gemeindefusion eine Chance für einen Neuanfang darstellt, also auch bezüglich der Organisation der Gemeinde, sei es auf der politischen, gesellschaftlichen oder wirtschaftlichen Ebene.
PM: Man nehme an, dass man entscheidet auf diese Zuschüsse von Ausserhalb zu verzichten – auf diese kommen wir wahrscheinlich noch zu sprechen – dann versucht man dank Suffizienz mit weniger trotzdem glücklich zu sein. Oder man versucht die fehlenden Zuschüsse mit anderen Leistungen und Wertschöpfungen zu ersetzen, so dass man dasselbe Einkommen beibehält und immer noch Netflix schauen kann. Anders gesagt, man würde durch andere, neue Leistungen am Markt mehr verdienen.
SF: Suffizienz bedeutet in diesem Sinne sicherlich, dass man auch auf gewisse Sachen verzichtet und auch die Ausgaben und den Konsum minimiert, zum Beispiel dank einer effizienteren Wirtschaftsweise. Es kann aber gleichzeitig auch bedeuten, dass man eben nicht mehr soviel produziert und vermarktet, weil man mit weniger zurechtkommt. Weiter muss man womöglich auch bereit sein, manche Leistungen selbst zu übernehmen.
PM: Das ist natürlich schon provokativ, gerade für eine Region, die unter Abwanderung leidet. Die Einkommen sind in solchen Regionen schon vergleichsweise tief. Nach Ihrer Meinung müsste man also mit noch weniger zurechtkommen und quasi einfacher leben?
SF: Diesen Denkansatz vertrete ich ein Stück weit, denn ich glaube schon, dass ein Wandel in Sachen Lebens- und Wirtschaftsweise mittelfristig stattfinden kann oder sogar muss. Ich sehe aber auch, dass dieser Gedanke nicht grundsätzlich von ungefähr kommt, denn auch in diesen Regionen sind solche Ansätze durchaus vorzufinden. Andererseits geht es mir mit meinem zugegeben eher radikalen Ansatz darum, auch gewisse Potenziale aufzuzeigen. Dabei steht der Gedanken im Zentrum, weg von dieser Einstufung als potenzialsarme Gegend zu kommen. Eine Wertung, welche primär ausserhalb der Region entsteht aber ebenfalls vor Ort selbst die Menschen durchaus beschäftigt.
PM: Wir Ökonomen – zumindest die Meisten – sind ja eher materialistisch orientiert, denn wir gehen davon aus, dass die Menschen eher mehr als weniger wollen. Dies deckt vielleicht 90% der Menschen ab, aber nicht alle. Man hat natürlich immer Aussteigergebiete, an die Leute herziehen, die alternative Lebensentwürfe oder ein einfaches Leben angehen wollen. In diesen Randregionen trifft man dies auch eher an, denn man wird dort vor allem mit immateriellem Wert entschädigt.
Bei der Studie, die Sie zitieren und welche ich vor einigen Jahren durchgeführt habe, war die Zielsetzung herauszufinden, ob man dank einem kulturellen Angebot mehr Wertschöpfung in solche Regionen bringen kann. Wertschöpfung heisst letztendlich auch Einkommen, und dass Leute lokal produzieren können. Die Erkenntnisse waren verschieden, denn in gewissen Fällen geht es und in anderen eher weniger.
Angenommen man würde in Splügen ein Jazz-Festival machen, bei dem die Leute von Ausserhalb herkommen, spielen und wenn es vorbei ist, den Ort wieder verlassen. Dann heisst das, dass vielleicht die Dorfmetzgerei einige Bratwürste mehr verkauft und weiteres wahrscheinlich nicht.
Anders ist zum Beispiel das Origen Festival, das Sie auch angesprochen haben. Klar sind auch dort die Künstler hauptsächlich für einen Anlass da, aber die Kostüme werden lokal produziert in Riom. Man hat eine Schneiderei dafür eingerichtet. Man versucht möglichst viel Wertschöpfung rund um das Projekt – in diesem Fall ist es Kultur, es wäre aber auch für Landwirtschaft möglich – vor Ort zu generieren. Ökonomen nennen das die «Wertschöpfungstiefe», welche am Standort vorhanden ist.
Es ist dann nicht nur Selbstversorgung, denn es kommen ja auch Gäste von überall her. Ein Platz für ein Schauspielstück kostet ja 100 CHF. Es ist so trotzdem eine Art Exportleistung, weil die Gäste von Ausserhalb kommen. Ähnlich ist dies ja in Andeer oder Splügen, von wo man Käse überallhin exportiert. Es handelt sich um ein Exportprodukt, mit dem lokal eine tiefe Wertschöpfungskette verbunden ist und an der viele arbeiten können. Aus ökonomischer Sicht gibt dies auch eine Perspektive für die Leute.
SF: Eine grundsätzliche Frage, die ich mir stelle ist diejenige, ob es denn etwas vollkommen Neues in Rheinwald geben sollte oder ob es auch möglich ist, auf bestehenden Strukturen aufzubauen. Zum Beispiel bei der erwähnten Käseproduktion oder vielleicht auch beim Potenzial der vier zum Verkauf stehenden Hotelhäuser, allem voran dem Bodenhaus in Splügen, welches durchaus eine gesellschaftliche Rolle für das Tal spielte und immer noch spielt. Diesbezüglich würde die Frage aufkommen, wer ein geeigneter Käufer dafür wäre und wie eine Strategie für die Weiterführung des Gasthauses aussehen würde. Die Gefahr sehe ich darin, dass wie beim Beispiel des Kulturhotels Piz Linard in Lavin der Eindruck entstehen kann, dass das ganze Dorf sich auf diesen einen Betrieb abstützt und davon abhängt.
Auch die Infrastruktur und vor allem die Solarenergie stellt ein Potenzial dar. Ich denke aber, dass diese höchstens zur Deckung des Energiebedarfes einer anderen Wertschöpfungskette dienen sollte, zumal man schnell in ein Muster hineingleitet, dass dem Bau von Staumauern und Seen Mitte des 20. Jahrhunderts ähnelt und das Potenzial von Bergregionen alleine auf diese Infrastruktur reduziert.
PM: Staumauern bringen eben eigentlich nichts, denn sie sind immer sehr kapitalintensiv und haben viel Infrastruktur mit sich gebracht. Aber sie sind nicht arbeitsintensiv, denn steht die Staumauer mal, braucht sie nicht viele Arbeitskräfte. Zudem wurden sie meistens nicht mit lokalen Arbeitskräften gebaut. Solaranlagen brauchen hingegen wenig Infrastruktur, aber auch sie generieren letztendlich wenig Arbeit.
Mit der Studie über Kulturanlässe haben wir folgendes gemerkt. Wenn man will, dass Wertschöpfung in der Region entsteht, dann gibt es zum Beispiel die Gastronomie. Wenn diese lokal ist, kann die Bäuerin oder der Bauer seine Produkte auch so verkaufen. Anderseits gibt es auch Beschäftigung, denn Gastronomie ist sehr arbeitsintensiv. Natürlich besteht noch die Frage, ob die Beschäftigten in der Region wohnhaft sind. Aber grundsätzlich werden durch diese Branche viele Arbeitsstellen generiert.
Schaut man sich hingegen die heutige Fleischproduktion an, wird nicht mehr viel vom Viehzüchter selbst nach der Tierhaltung übernommen, denn fast alles ist automatisiert. Ähnliches haben Sie in Ihrer Arbeit über die Sennerei in Nufenen erörtert, bei der ein Roboter einen grossen Teil der Arbeit übernimmt und so eine sehr kapitalintensive Produktion entsteht. Natürlich kann man das dort auch machen, weil der Anschluss zur Autobahn besteht. Man kann den Käse quasi direkt auf den 40t-Lastwagen verladen, was eine andere Käserei in einem abgelegenen Tal nicht tun könnte.
SF: Die A13 ist ja ohnehin Fluch und Segen zugleich für Rheinwald. Einerseits hat man den Vorteil des wirtschaftlichen und geographischen Standortes, andererseits wird die Talschaft doch von den relativ hohen Emissionen belastet. Die Frage lautet im Moment, ob es diesbezüglich eine Strategie gäbe, denn die Autobahn scheint für das Tal vital zu sein.
Um nochmals auf das Thema der Wertschöpfung zu kommen; ich frage mich nach wie vor, wie die Gemeinde zu wirtschaftlichem Wachstum steht, wieviel davon nachhaltig ist und letztendlich notwendig wäre, damit die Talgenossenschaft sich selbst erhalten kann.
PM: Das Problem sieht man im Kanton Graubünden exemplarisch. Es gibt eine Abwanderung aus den Randregionen, dafür boomt das Churer Rheintal. In den Bergregionen oben wird es zum Beispiel für den Bäcker immer schwieriger zu überleben, wenn er nur für die lokale Bevölkerung produziert, weil diese immer mehr schrumpft. So fällt es ihm schwer sich zu spezialisieren, es sei denn er hat ein bestimmtes Produkt, dass er exportieren kann. Ansonsten ist der Markt einfach zu klein, er muss irgendwann aufgeben und ist gezwungen wegzuziehen. Entlang des A13-Korridors ist dies vielleicht nicht so ausgeprägt, weil durch die Autobahn auch viele pendeln können.
SF: Die A13 ist auch für einen Tourismus wie er heute funktioniert entscheidend, zumal man sich in Rheinwald stark auf den Tagestourismus ausgerichtet hat. Diese Art des Tourismus ermöglicht aber auch weniger Potenzial, um lokale Wertschöpfungsketten aufzubauen, weil ein grosser Teil der Gäste am Ende des Tages wieder wegfahren.
PM: Einerseits geht es um Produkte, die man exportiert, andererseits geht es um Gäste, die kommen. Diesbezüglich möchte man vielleicht schon die Verweildauer der Gäste erhöhen, da so mehr Wertschöpfung daraus resultiert. Dann wiederum besteht eine Frage der Kapazität der vorhandenen Infrastruktur wie Hotels.
Vergleicht man nun Rheinwald mit anderen Regionen, zum Beispiel mit dem Puschlav; Dieses Tal ist weniger gut mit dem Auto erreichbar, dafür mit dem ÖV sehr gut erschlossen. Auch dort reisen die Leute am Abend wieder ab und es ist schwierig, die Leute im Tal zu behalten.
Etwas möchte ich noch an dieser Stelle ansprechen, nämlich die Sache mit den Agrarsubventionen, welche Sie in der wirtschaftlichen Rechnung der Gemeinde abziehen. Man muss an dieser Stelle ein wenig aufpassen, obwohl ich keineswegs Anhänger von Agrarsubventionen bin. Ein Stück weit ist ein Teil dieser Zahlungen auch ein Entgelt für die Bereitstellung von ökologischer Landwirtschaft. Im konkreten Fall handelt es sich ja um Biolandwirtschaft, welche noch mehr Zahlungen erhält, damit diese sorgfältiger mit der Natur umgehen kann, um so – hoffentlich – die Biodiversität besser zu erhalten. Ökonomisch gesehen handelt es sich also auch um ein öffentliches Gut, wofür die Gesellschaft bereit ist, ein Stück weit dafür zu bezahlen. Es handelt sich somit nicht nur um Subvention oder Einkommenstransfer, denn es ist auch eine Leistung, welche diese Leute herstellen. Ich glaube, man kann nicht alles daran einfach negativ sehen.
SF: Ich verstehe das Konzept, das Sie erklären und ich bin mir auch der Direktheit meiner Aussage bewusst. Was ich aber spüre ist, dass sich nicht jede Bäuerin oder Bauer grundsätzlich nur ein Wirtschaften mit Direktzahlungen vorstellen kann. Im Gespräch mit Jürg Flückiger, dem Käser in Splügen, erwähnte dieser einen Gedanken, den er und einer seiner Milchbauern vor ein paar Jahren hatten. Sie versuchten einzuschätzen, wieviel ein Liter Milch dem Landwirt mehr einbringen müsste, damit dieser ohne Unterstützung durch die Agrarpolitik über die Runden käme. Sie schätzen dabei etwa einen Franken pro Liter Mich mehr würde dafür reichen. Dies scheint auf dem ersten Blick viel zu sein, rechnet man aber weiter in der Wertschöpfungskette, also in der Käseherstellung und Vermarktung, bedeutet dies gar nicht einmal so viel mehr Geld, das man für ein Kilogramm Käse verlangen müsste, nämlich rund 10 CHF. Ich glaube auch, dass dieser Mehrpreis bei der momentanen gastronomischen Erfolgsgeschichte von qualitativen Milchprodukten und der Kaufkraft, die wir in der Schweiz haben durchaus vertretbar wäre. So würde man letztendlich auch die nachhaltige Landwirtschaft fördern, einfach auf eine andere Art und Weise.
PM: Vielleicht kommen wir so nun zu Ihrer Methodik und den Berechnungen.
SF: Bei einem Teil meiner Arbeit unternehme ich den Versuch, eine Art Haushaltsbudget für die Gemeinde Rheinwald zu berechnen. Dabei beziehe ich sämtliche privaten, unternehmerischen und administrativen Einnahmen und Ausgaben innerhalb der Gemeinde mit ein – so gut dies geht. Natürlich entspricht dieser Berechnungsteil nicht ganz der wissenschaftlichen Vorgehensweise eines Ökonomen, sondern eher einer unternehmerischen Budgetplanung für die von mir vorgeschlagene «Talgenossenschaft».
Der momentane Stand zeigt ein relativ deutliches Defizit von 1.5 Mio. CHF, das allerdings alleine auf die Bilanz abzüglich der Agrarsubventionen von Bund und Kanton zurückzuführen ist und das es dank der entsprechenden Nutzung vorhandener oder neuer Potenzialen zu decken gälte. Ginge man davon aus, dass man das Defizit auf 1 Mio. CHF durch Suffizienz und Subsistenz reduzieren kann, würde dies bei total 600 Einwohner*innen rund 1'600 CHF mehr Wertschöpfung pro Kopf im Jahr bedeuten, was durchaus machbar zu sein scheint.
Sehr direkt gefragt; scheint Ihnen diese Methodik für diesen ökonomischen Teil meiner Arbeit plausibel? Ich habe in Ihrer Studie über die «Wertschöpfung ausgewählter repräsentativer Kulturangebote in Graubünden» durchaus ähnliche Ansätze gesehen. Natürlich benutzen Sie dabei genauere Terminologien aber auch präzisere Datenerhebungen, was Ihnen erlaubt, komplexe Wirkungszusammenhänge einer lokalen Wirtschaft genauer zu analysieren.
PM: Grundsätzlich gibt es bei Ihrer Vorgehensweise Parallelen zu unserer Studie über Kulturangebote, denn es geht letztendlich um Wertschöpfung. Es spielt dabei keine Rolle, ob dies nun ein Anlass oder die Käseproduktion ist, denn einfach gesagt wird etwas hergestellt. Wertschöpfung ist Umsatz minus Vorleistungen. Der Umsatz kann daraus entstehen, dass man etwas Ausserhalb verkauft oder dass Gäste von ausserhalb kommen und etwas vor Ort nutzen. Umsatz kann aber auch in der Region entstehen; das Baugeschäft, das einen lokalen Auftrag hat. Weiter ist wichtig, woher man die Vorleistungen bezieht; einige muss man ausserhalb der Region einkaufen, zum Beispiel die Jazzband oder ein bestimmtes Bauprodukt. Oder sie stammen aus der Region, zum Beispiel das Holz, das man mit dem lokalen Schreiner bearbeiten kann, und auch eine lange Wertschöpfungskette bedeuten kann. Weiter spielt es eine Rolle, wo meine Angestellten leben. Sind es Pendler*innen oder wohnen sie in der Region. Letztlich muss man möglichst viel Wertschöpfung in der Region behalten, damit auch etwas bleibt. Umsatz und Vorleistungen sind somit am wichtigsten, dann kommt der Produktionsprozess. Dies entspricht der vereinfachten Denkweise, wie wir vorgehen würden und so steht es auch in der Literatur. Ich sehe, dass Sie ähnliche Ansätze haben, aber Sie verwenden teilweise eine andere Terminologie. Es kommt natürlich immer auf das Publikum der Arbeit an, für mich ist die Rechnung vielleicht auch in der Darstellung noch ein wenig ungewohnt.
SF: Wie schon angetönt, beruht das Konzept der Talgenossenschaft unter anderem darauf, dass Wachstum innerhalb nur sofern stattfinden soll, bis sie sich letztendlich selbst erhalten kann. Dies soll sowohl durch Suffizienz als auch durch Subsistenz erreicht werden. Die Akzeptanz solcher Ansätze bei der Bevölkerung wird diesen Sommer im Rahmen einer Art Dokumentarfilm noch genauer ergründet. Aus meiner Sicht könnten nämlich solche Ansätze als Zielsetzung einer Region ebenso für eine lokale Kulturlandschaft stehen und ihr eine ähnlich nachhaltige Ausstrahlung verleihen, wie zum Beispiel ein bestimmter kultureller Anlass anderswo.
PM: Ihre Aussage über Wachstum ist normativ und in der Ökonomie haben wir auch eine normative Diskussion darüber. In diesem Fall wäre es das Konzept der nachhaltigen Entwicklung, welches nun auch sehr bekannt ist. Dabei geht es zum einen um Einkommen, aber eben auch um einen sozialen Aspekt, Ungleichheiten und um den ökologischen Aspekt. All dies müsste idealerweise im Gleichgewicht stehen. Also nicht alleine viel Einkommen ist relevant, sondern wie sind die Einkommen verteilt und wie findet Produktion und Konsum statt. Findet dies dauerhaft statt oder zum Beispiel auf Kosten der Natur? Dies sind die aktuellen Wachstumsdiskussionen in der Ökonomie.
Mit Suffizienz und Subsistenz kenne ich mich wie gesagt nicht so genau aus, aber beide stehen schon in Bezug zu diesen bestehenden Konzepten und lassen sich auch dort einordnen. Doch was heisst es nun für diese konkrete Region?
SF: Ich denke ein zentraler Aspekt sind die Kreisläufe, die Sie ebenfalls zum Thema der Wertschöpfungsketten geschildert haben. Im Gespräch mit Professor Stefan Forster von der ZHAW, hat er mir diesbezüglich ein paradoxes Beispiel erklärt. Als er vor einigen Jahren ein Workshop mit der Bevölkerung in Nufenen – damals noch eine eigene Gemeinde – durchführte, welcher das Thema der Biolandwirtschaft als Kernpunkt hatte, kam heraus, dass genau hier wo Bioprodukte hergestellt und auch ein Haltung gewissermassen vertreten wird, viele Leute Produkte für sich in Discounter im Tal weiter unten bezogen. Natürlich mag sich dies heute ein Stück weit geändert haben, denn wie Prof. Forster sagte, auch Rheinwald ist urban geworden. Dennoch empfinde ich dieses Phänomen als sinnbildlich für die Schwierigkeiten in der ganzen Diskussion. Mir ist bewusst, dass die Idealvorstellung, die ich bei dieser Arbeit vertrete, durchaus eine verschönerte Vorstellung sein mag, welche grundsätzlich nicht so einfach und nachhaltig umzusetzen ist. Dabei ist mir aber auch wichtig, durch meine These gewisse Denkanstösse zu geben, die mit den aufgezeigten Potenzialen nicht komplett realitätsfern sind.
PM: Man muss schon sehen, dass Bioprodukte vor allem in den Städten gekauft werden, denn dort ist der grösste Markt für exklusive Produkte, die von Leuten mit hohen Einkommen gekauft werden. Der Tourismus ist dabei eine Art Türöffner dafür, denn es sind in der Regel ebenfalls diejenigen Leute mit hohen Einkommen, welche reisen und irgendwo übernachten. Sie haben dann vielleicht ein positives Erlebnis, das geht auch mir manchmal so. Man freut sich zum Beispiel ab dem guten Käse, und man bezieht diesen dann anderswo wieder, heute auch dank Versandhandel.
SF: Konzeptuell in einer verwandte Richtung zielt der neue Naturpark Beverin, von dem auch Rheinwald seit kurzem ein Teil ist. Nicht nur lokale Lebensmittel, auch Handwerk und anderes wird in diese Nachhaltigkeitsbestrebung miteinbezogen und unter diesem Merkmal nach Aussen vermittelt bzw. vermarktet.
PM: Man ist dabei bemüht die angesprochenen Wertschöpfungsketten tiefer zu gestalten. Mit dem Park versucht man mehr Aufmerksamkeit auf die Region und deren Produkte zu erhalten, um so mehr Wertschöpfung und Einkommen zu generieren.
Persönlich kenne ich mich im Safiental aus, das ja auch ein Teil dieses Parks ist. Die dortige Schreinerei hat zum Beispiel das Problem, dass sie Arbeitskräfte finden muss, welche bereit sind, an einem solchen Ort zu arbeiten. Man kann nicht einfach so dorthin pendeln, denn alleine von Bonaduz aus hat man schon fast vierzig Fahrtminuten. Das heisst, der Betrieb muss Leute finden, welche im Tal bleiben oder sogar hinziehen. Dazu kommt auch, dass man qualifizierte Handwerker*innen finden muss, welche grundsätzlich Mangelware sind.
SF: In meinem konkreten Beispiel von Rheinwald gibt grundsätzlich sehr gut ausgebildete Leute, auch wenn diese ihre Ausbildung teilweise ausserhalb des Tals erhalten haben. Interessant wäre aber zu erfahren, wie sie ihr Fachwissen in Zukunft nutzen wollen, also ob die jungen Fachkräfte auch auf Dauer im Tal bleiben wollen.
PM: Aus meiner Sicht ist nicht nur entscheidend, dass diese bleiben, sondern auch, dass neue hinzukommen. Wenn ich sehe, wo Innovationen in solchen Gegenden passieren, findet man diese meistens bei Zuzügern. Beispielsweise der Gastronomiebetrieb Bergalga in Juv im Avers, der ebenfalls eine Genossenschaft ist: es handelt sich dabei auch eher um Zuzügern, die neues Leben ins Tal bringen.
Es braucht also eine bestimmte Form von Attraktivität, und da käme womöglich schon dieser Suffizienzgedanke mit ins Spiel. Die Leute kommen nicht hierher, weil sie ein hohes Einkommen haben wollen, dafür haben sie eine hohe Lebensqualität oder womöglich eine Dorfgemeinschaft. Dabei muss diese sie dann auch noch willkommen heissen, damit sie sich wohlfühlen – etwas was nicht überall in Graubünden gleich ist. Es braucht etwas, dass die Menschen motivieren soll, ihren Lebensmittelpunkt hierher zu verlegen. Diesbezüglich ist es in manchen Regionen besser als in anderen. Ich weiss nicht, wie dies in Splügen ist. Das Oberland hat eher Probleme damit. Hingegen hat das Unterengadin relativ viele Menschen, die dorthin ziehen, weil es eine offenere Kultur ist.
SF: Prof. Stefan Forster benutzte für was Sie hier beschreiben den Begriff der sozialen Innovation. Demzufolge reicht es nicht aus, wenn Menschen kommen und konsumieren können. Die Menschen, welche kommen haben auch ein spezifisches Interesse oder eine Haltung zum Ort und seiner Lebens- und Wirtschaftsweise. Dadurch finden Sie eine bestimmte Attraktion für sich vor Ort. Wichtig ist aber, dass sie ihre Haltung dazu einbringen können. Wenn dieser Raum nicht besteht, muss man ihn dementsprechend erschaffen, um Innovation daraus ziehen zu können.
Etwas anderes, das mich im Laufe meiner Arbeit zu interessieren begonnen hat, ist das Konzept einer lokalen Währung. Hauptsächlich habe ich dazu in Bezug auf die Transition Bewegung gelesen, die ja mittlerweile auch in manchen Schweizer Städten angekommen ist. Im englischen Städtchen Totnes, wo die Bewegung ihren Ursprung hat, wurde dabei eine eigene Währung in Umlauf gesetzt mit dem Ziel, das lokale Gewerbe zu stärken und ihm einen Aufschwung zu verleihen. Die Währung wurde nun von digitalen Zahlungsmitteln abgelöst, aber auch diese schliessen eine identitätsstiftende lokale Ökonomie nicht aus. Wie stehen Sie dazu?
PM: Es gibt ja immer wieder neue Währungen. Gerade in wirtschaftlichen Krisensituationen gibt es öfters solche Bestrebungen, ein lokales Zahlungsmittel einzuführen. Als Ökonom runzelt man immer zuerst die Stirn, weil es in erster Linie einen unheimlichen Aufwand bedeutet. Auch das Beispiel von Twint hat Ähnlichkeiten mit diesem Phänomen. Nun kann man damit im Hofladen bezahlen statt mit Münzen. Auch an der Parkuhr kann man ja unterdessen mit Apps bezahlen.
Das Problem der lokalen Währung ist aus meiner Sicht in erster Linie, dass es für den Kunden mühsamer ist. Das hat man auch mit dem WIR-Geld für Handwerker gesehen, denn es besteht immer die Frage, wie man es wieder loswird. Bis jetzt hat mich das Ganze noch nicht so überzeugt.
Andererseits hat man ja heute all diese Punktesammelsysteme. Vielleicht gibt es die Möglichkeit im Rahmen eines digitalen Punktesystems für regionale Treue etwas ähnliches aufzubauen. Diese Punkte könnte man dann auch in der Region wieder einlösen. Man muss aber bei Apps auch sehen, dass jeder diese herunterladen muss und ich weiss nicht, wie technologieaffin die Leute manchmal wirklich sind.
SF: Bei der Transition Bewegung geht es auch um Tauschhandel, der die lokale Bevölkerung motivieren soll, lokal zu konsumieren, was letztendlich auch lokales Produzieren miteinschliesst.
PM: Erst kürzlich habe ich etwas gelesen, das in dieselbe Richtung geht. Im Kanton Waadt wurde für einen lokalen Lebensmittelladen, welcher schliessen musste, eine Art Container hingestellt, der ähnlich funktioniert, wie der Kiosk im Hauptbahnhof in Zürich. Es gibt kein Verkaufspersonal und als Kunde kommt man über eine App-Lösung in den Laden. Die regionalen Landwirtinnen und Landwirte liefern dort ihre Produkte selbst an. Anfangs war es, so glaube ich, eher gedacht für Gäste, es hat sich dann aber herausgestellt, dass auch die lokale Bevölkerung den Laden oft besucht hat. Es ist also wie ein Hofladen, nicht nur für einen Hof, sondern für mehrere. Es funktioniert so gut, dass der Betreiber sogar an verschiedene Orte nun expandieren will. Natürlich gab es mit der Corona-Krise auch einen Push für solche Hofläden. Aber es war schon davor in Betrieb und wurde auch zu einer Art Treffpunkt für die lokale Gesellschaft.
Ich finde es ein spannendes Konzept. Ich glaube, das Anliegen ist überall das gleiche, also dass man vermehrt auch lokal einkauft. Mit dem Onlineangebot vergisst man heute oftmals, dass man die Sachen auch um die Ecke erhalten könnte. Mit dem Corona-Lockdown wurde einem das Ganze auch ein wenig bewusster; statt bei Zalando einzukaufen, geht man für seine Socken zum Laden um die Ecke, damit dieser seine Sache verkaufen kann.
Das Lokale kann so in der physischen aber eben vielleicht auch in der digitalen Welt einen besseren Zugang erhalten. Dabei glaube ich, dass nicht die Währung das entscheidende ist, sondern die Verfügbarkeit.
SF: Da Sie eher kritisch gegenüber den lokalen Währungen eingestellt sind, hacke ich nochmals nach. In der Theorie geht es ökonomisch auch darum, dank einem lokalen Zahlungsmittel nur eine begrenzte Anzahl an Mittel innerhalb einer begrenzten Entität in Umlauf zu setzen. So ist man auch unabhängiger vor Spekulationen am Markt bzw. das Konzept verspricht letztendlich mehr finanzielle Stabilität und Sicherheit.
Auf der anderen Seite braucht es ja wiederum jemanden vor Ort, der das Ganze verwaltet und die eigene Währung gegenüber der Landeswährung vertritt. Einfach gesagt braucht es eine Bank oder zumindest eine Institution, die diese Rolle übernimmt.
PM: Klar, man muss die Währung ja stabil halten, zumindest in erster Linie zum Schweizer Franken. Spätestens hört es aber dann auf, wenn man die Leute fragt, ob sie ihren Lohn in dieser Währung haben wollen und auch ihr Konto damit führen wollen. Eine kleine Kasse, in der ich höchstens ein Gegenwert von ein paar hundert Franken davon habe, wäre vielleicht noch realistisch. Ich denke aber schon, dass wenn es zum Lohn kommt, die Leute eine Währung haben wollen, in die man Vertrauen hat. Bei Geld geht es immer um Vertrauen, und dieses ist sehr schwierig aufzubauen. Gerade in der Schweiz ist es etwas, das über Generationen besteht. Die Menschen vertrauen dem Franken und der Nationalbank, darum sind hier neue Währungen eher schwierig einzuführen.
Mir ist in Ihrer Arbeit noch das Stichwort der monokulturellen Wertschöpfung aufgefallen. Ich denke das ist ein wichtiger Punkt, denn er ist in der Ökonomie ein wenig ein Dilemma. Man weiss, wenn man sich auf etwas spezialisiert, wird man produktiver und dies ermöglicht auch höhere Löhne. Aber, je mehr man sich spezialisiert, desto verletzlicher wird man, wenn am Markt etwas wegfällt. Deshalb versucht man sich ein wenig zu diversifizieren und verschiedene Sachen herzustellen. Aber je mehr man sich wiederum in einer Region diversifiziert, desto weniger produktiv ist man. Auf ein ganzes Land bezogen kann man das eher anwenden, weil es viele Menschen sind. In einer so kleinen Gemeinde ist dieser «Spagat» aber schwieriger, gerade wenn man abhängig ist von Tourismus oder Landwirtschaft. Das sah man auch kürzlich mit dem Corona-Lockdown, durch den ein Teil der Saison wegfiel und man nun hofft, dass dieser Teil in der kommenden Saison nachkommt.
SF: Gerade in Rheinwald stützt man sich explizit auf den Wintertourismus ab, obwohl dieser viele Unsicherheiten mit sich bringt, alleine schon wetterbedingt. Es gibt aber auch Bestrebungen, die dem Sommertourismus mehr Aufmerksamkeit schenken, nicht zuletzt deswegen, weil dieser eine längere Saison bedeutet. Ein Beispiel ist die Vermarktung als Wanderdestination mit der sogenannten «vwiaSpluga», dem historischen Säumerpfad.
PM: Der Trend in Sachen Tourismus ist klar. Nämlich, dass es immer stärker in Richtung Sommertourismus geht. Darum auch die zahlreichen Bestrebungen mit Kulturanlässen. Es ist aber einfach so, dass der Gast im Winter an einem Tag mehr ausgibt, als derjenige im Sommer. Aber wie Sie sagten hält die Sommersaison dafür länger an. Zudem zieht es, wenn die Temperaturen weiter steigen, mehr Menschen in die Höhe, wo es frischer ist.
* Anmerkung SFa: Unique selling proposition