In diesem Abschnitt wird ausführlicher auf den Aufbau und die eigentliche Funktionsweise der Talgenossenschaft eingegangen. Es sollen einige offene Fragen geklärt und Eckpunkte dieses hypothetischen Modells definiert werden. Manche gesetzlichen Grundlagen stehen für die Genossenschaft als Rechtsform fest, andere Parameter werden wiederum als Teil dieser These entwickelt.
Eine Genossenschaft setzt sich rechtlich aus drei Organen zusammen. Zum einen die Generalversammlung, an der jedes Genossenschaftsmitglied teilnehmen können und die in diesem Fall alle rund 490 volljährigen Einwohner*innen von Rheinwald umfassen würde. Ein weiteres Organ ist der Verwaltungsrat, der mindestens drei gewählte Genossenschafter*innen zählen muss. Für eine gemeindeweite Genossenschaftsform würde es womöglich Sinn ergeben, dass dieser Rat einen Vertreter pro Interessensbereich zählt. Anders als bei einer konventionellen Verteilung von Gemeindeämtern, würden diese Ämter für die Talgenossenschaft nach Interessenvertretung von verschiedenen lokalen wirtschaftlichen und administrativen Bereichen festgelegt. Demnach würde sich der Verwaltungsrat aus je einem Vertreter von Gemeindeinfrastruktur, Bildung, privaten Haushalten, Bauwesen und Handwerkern, Gastronomie und Hotellerie, Viehwirtschaft, Ackerbau und letztlich administrativen Stellen zusammensetzen und so acht Mitglieder zählen. Letztendlich ist für die Gründung einer Genossenschaft eine Kontrollstelle notwendig, die zur Aufsicht als drittes Organ mindestens 10% der Genossenschafter*innen vertreten sollte.
Der verwaltende Apparat der Talgenossenschaft unterscheidet sich somit nicht sonderlich von einem herkömmlichen Gemeindeorganigramm. Die drei Organe der Genossenschaft würde demzufolge die Aufgaben der Gemeindeversammlung, des Gemeindevorstands sowie der Geschäftsprüfungskommission übernehmen.
Allgemein gelten die Statuten der Genossenschaft, welche von der Generalversammlung festgelegt und nach Bedarf geändert oder genehmigt werden müssen. Die Statuten beinhalten unter anderem Bestimmungen zu Genossenschaftskapital und Anteilscheinen oder zum Beispiel zu Eintritten in die Organisation. Für die Talgenossenschaft würden diese Bestimmungen wohl auch Punkte wie die Entlohnung der Genossenschaftler*innen oder die Besitzverhältnisse innerhalb der Organisation beinhalten.
DER ZWECK DER GENOSSENSCHAFT – In erster Linie wurde in dieser Arbeit die Hypothese aufgestellt, dass durch die Talgenossenschaft eine finanzielle Eigenständigkeit von Rheinwald ohne Agrarsubventionen erreicht werden könnte. Dies bedeutet, dass es das im dritten Kapitel errechnete Defizit von rund anderthalb Millionen Schweizer Franken zu decken gilt. Doch wie realistisch ist dieses Szenario und wie liesse es sich umsetzen?
Die grössten Auswirkungen hat auf dem ersten Blick ein Wandel im betrieblichen Teil der Berechnung, zumal es sich dort um teilweise beträchtliche Beträge handelt. Dies betrifft sowohl den betriebswirtschaftlichen Teil als auch die kommunale Geschäftstätigkeit. An dieser Stelle stehen mehrere Wege zur Auswahl, welche eine Minderung des Defizits bewirken könnten. Jeder von ihnen hat entsprechende Auswirkungen auf die Wirtschaftsweise von Rheinwald und steht in einem anderen Verhältnis zu Suffizienz und Subsistenz.
Ein erster möglicher Weg stellt eine Maximierung der Erträge im betriebswirtschaftlichen Teil dar. Dies würde bedeuten, dass die lokalen Betriebe unter dem Markenzeichen der Talgenossenschaft Rheinwald mehr Aufträge ausserhalb der Gemeinschaft ausführen, mehr Produkte exportieren oder diese teurer vermarkten müssten. Bei den in Rheinwald hergestellten Produkten und Zertifikationen handelt es sich zweifelsfrei um qualitativ hochwertige Erzeugnisse, allem voran was Fleisch- und Milchprodukte oder Backwaren betrifft, deren Nachfrage und Vermarktung hauptsächlich in urbaneren Räumen besteht und stattfindet. Allerdings würde dieses Modell auch die Aufwände steigern, sowohl finanziell als auch was die Arbeit betrifft. Womöglich müsste alleine schon in die für dieses Szenario notwendige Vermarktung massgeblich investiert werden, um die erforderliche Nachfrage auch tatsächlich zu vergrössern. Problematisch an dieser Strategie ist aber vor allem, dass sie nur bedingt mit einer höheren Suffizienz vereinbar ist, weil sie mit einem wirtschaftlichen Wachstum einhergeht. Das Scheitern einer solchen Wachstumsstrategie lässt sich aktuell beim defizitären Bergbahnbetrieb beobachten, an dessen wirtschaftlichen Erfolg auch ein beträchtlicher Anteil der Rheinwaldner*innen nicht mehr wirklich glaubt.
Eine Alternative zu diesem ersten Weg wäre eine massive Reduktion der finanziellen Aufwände auf das Notwendigste. Diese Strategie würde zwar die Erträge massiv vermindern, für die Haushaltsrechnung würde das Modell aber bedeuten, dass man möglicherweise ohne Defizit wirtschaften könnte. Doch auch ein solcher Lösungsweg könnte gewisse Konsequenzen mit sich ziehen. Es besteht nämlich die Gefahr, sich von den umliegenden Marktwirtschaften und auch von der Gesellschaft gänzlich abzugrenzen. Dies entspräche einem Phänomen, welches man eher mit einer autonomen Kommune in Verbindung bringt als mit einer Gemeinde, die als Genossenschaft auftritt. Zudem scheint ein solches Modell mit den geschichtlichen und bestehenden Strukturen in Rheinwald kaum kompatibel zu sein. Auch würde ein bedeutender Rückbau in der lokalen Forst- und Landwirtschaft zu einer teilweisen Vergandung führen und so Konsequenzen für die Erhaltung der Kulturlandschaft sowie die Eindämmung von Naturgefahren mit sich bringen.
Die Talgenossenschaft sollte also weder ein übermässiges Wachstum anstreben, noch die Bestrebungen einer Aussteigerkolonie verfolgen. Viel eher sollte sie einen Zwischenweg wählen. Ein Modell, dass sich durch eine engere Kooperation und eine optimierte Ausnützung vorhandener Potenziale auszeichnet.
Bei näherer Betrachtung der Haushaltsrechnung lässt sich ein erster, nicht geringfügiger Kostenpunkt in der Landwirtschaft finden. Auffällig ist diesbezüglich vor allem der heutige Maschinenpark, den jeder einzelne Betrieb besitzt und bei dem, im Gegensatz zu Weiden und Milchverarbeitung, weitaus weniger Wert auf Kooperation gesetzt wird. Dementsprechend trifft diese Überausstattung auch bei einigen Einwohner*innen auf Unverständnis – in erster Linie bei jenen, die nicht in der Landwirtschaft tätig sind. Doch welche ökonomische Bedeutung hat eine stärkere Zusammenarbeit in diesem Bereich? Womöglich liesse sich durch einen gemeinschaftlichen Maschinenpark eine Reduktion der jährlichen Kosten um rund zwei Drittel erzielen, was schätzungsweise einer Million Schweizer Franken Einsparungen entspräche.41 Zwar wäre es eine nicht unwesentliche administrative Aufgabe, eine auf einen Drittel des heutigen Maschinenparks geschrumpfte Infrastruktur reibungslos zu betreiben, gleichzeitig würde eine solche gemeinschaftliche Strategie einer Anschaffung modernerer, effizienterer Maschinen nicht im Weg stehen.42 Womöglich würde sie diese höheren Standards sogar erfordern, zumal die jeweiligen Maschinen stärker ausgelastet würden.
Ein weiterer auffälliger Punkt ist im Tourismusbereich deutlich sichtbar. In der aktuellen Rechnung wird mit dem Bergbahnbetrieb ein Defizit von rund 0.9 Mio. CHF verbucht. Dessen Kompensierung durch die Eingliederung in die Talgenossenschaft und durch eine Reduzierung der Geldflüsse, sowohl beim Umsatz als auch bei den Vorleistungen, wird in diesem Szenario angenommen. Ziel ist dabei ein Modell, bei dem sich die Talgenossenschaft finanziell nicht abhängig vom Bergbahnbetrieb macht. Dies scheint unter anderem auch deshalb wichtig zu sein, weil unsichere Winter und allgemeine klimatische Trends den Skitourismus je länger wie mehr zu risikobehafteten Unternehmungen machen.
Die momentane monokulturelle Bewirtschaftung des Landes wirft an dieser Stelle eine weitere Frage auf. Liesse sich das an einer anderen Stelle dieser Arbeit erwähnte Potenzial von Ackerbau umsetzen, würde dieses zwar nicht massgebende Gewinne generieren, was aber auch nicht das Ziel neuer Aktivitäten in der Talgenossenschaft sein sollte. Die Bewirtschaftung der genossenschaftlichen Ackerflächen würde einerseits auf gemeinschaftlicher Basis beruhen. Andererseits würden diese auf bereits bestehenden Weideflächen stattfinden, was demnach bedeuten würde, dass nur geringfügig mehr Arbeit dadurch generiert würde. Womöglich würde der Ackerbau einen geringen Rückgang in der Milchwirtschaft oder eine stärkere Bewirtschaftung von steileren Weiden nach sich ziehen. Dennoch könnte durch die Verarbeitung der aus dem Ackerbau stammenden Produkte eine neue Wertschöpfung entstehen, die sich sowohl für eine höhere Subsistenz, als auch zur Vermarktung eignet.
Diese intensivere Fokussierung auf landwirtschaftliche Aktivitäten wäre, mit Hilfe der Verschiebung der Arbeitsplätze vom Dienstleistungssektor, durch die erwähnte und wohl unumgängliche Reduzierung im Skitourismus überwindbar.
Es fällt bei genauerer Betrachtung der Haushaltsrechnung auf, dass Senkungen von privaten Ausgaben das Defizit nur sehr begrenzt beeinflussen. Dies bedeutet gleichzeitig für die Genossenschaftsmitglieder, dass sie ein ähnlicher Lebensstandard beibehalten könnten. Dennoch sind einige Einsparungen möglich und wären hinsichtlich einer höheren Subsistenz gar sinnvoll. Gerade was die Lebensmittelbeschaffung betrifft, gibt es Anzeichen dafür, dass ein eigenständigerer Weg realistisch wäre. Zum einen durch einen genossenschaftseigenen Ackerbau, zum anderen wäre eine stärkere Selbstversorgung der lokalen Bevölkerung durch Gemüseanbau in bereits bestehenden Privatgärten denkbar. In einigen dieser Gärten scheint der Ertrag um einiges höher zu sein, als von deren Eigentümer*innen wirklich gebraucht wird. So liegt es auf der Hand, diese Überschüsse über ein lokales Tauschsystem für die Gemeinschaft bereitzustellen.
Ein letzter Punkt, der im privaten Bereich zukunftsweisend zu sein scheint, betrifft die Mobilität. Es stellt sich in diesem Bereich die Frage, ob und wie sich die Gebundenheit der Rheinwaldner*innen an das Automobil und die stündlichen Postautokurse effizienter lösen oder zumindest flexibilisieren liesse. Dabei kommen Konzepte wie «car-sharing» oder Mitfahrgelegenheiten ins Spiel, sei dies zwischen den Ortschaften innerhalb der Talgenossenschaft oder ferner, aus dem Tal hinaus. Mobilität würde demnach zu einem Gemeingut, bei dem zugleich private Kosten eingespart werden könnten. Gleichzeitig würde ein solches Konzept im Rahmen dieses überschaubaren Kontexts einen zusätzlichen Raum für soziale Interaktion bilden, zumal eine gewisse Familiarität vor Ort schon vorhanden ist.
DAS BEDINGUNGSLOSE GRUNDEINKOMMEN43 – Welche Auswirkungen oder gar Vorteile hätte die Talgenossenschaft im Alltag der Rheinwaldner*innen? Welche Gründe hätten sie zum Beispiel, um weiterhin einer Tätigkeit nachzugehen? Ein Modell, dass sich an das bedingungslose Grundeinkommen anlehnt, lässt sich aufgrund der Überschaubarkeit der Entität der Talgenossenschaft kurz gefasst so erklären. Bei einem erneuten Blick auf die Berechnungen in Kapitel drei lässt sich feststellen, dass knapp mehr als die Hälfte des durchschnittlichen steuerbaren Einkommens in Rheinwald für Leistungen ausserhalb des Tals benötigt wird. Da, wie vorhin erwähnt, der Lebensstandard erhalten bleiben soll, müsste die Genossenschaft diese Ausgaben jedem Mitglied monetär auszahlen, damit diese wiederum ihre Kosten lückenlos decken können. Die Talgenossenschaft stellt somit einen monetären Teil eines bedingungslosen Grundeinkommens für jedes Mitglied bereit.
Um zu überprüfen, ob diese Rechnung aufgehen würde, müssen die eigentlichen Vorleistungen, die innerhalb der Genossenschaft bleiben, mit der jährlichen Summe an Lohngeldern, die für den Lebensunterhalt aus dem Tal fliessen, abgeglichen werden.
Auf diese Weise würden jedoch die Vorleistungen, welche in Rheinwald bleiben, die jährlichen Ausgaben der Privaten nicht decken. Ein Grund dafür ist, dass die betriebliche Spalte nur die knapp mehr als 250 Beschäftigten in Rheinwald umfasst. Nicht aufgelisteten sind jedoch Nicht-Erwerbstätige, Kinder und Pensionierte. Diese entsprechen in ihrer Anzahl den rund 350 fehlenden Einwohnern von Rheinwald.
Auch nicht miteinberechnet sind an dieser Stelle die AHV-Beiträge der rund 170 pensionierten Einwohnerinnen und Einwohner. Da Steuern an Bund und Kanton, sowie Beiträge an Sozialversicherungen im Genossenschaftsmodell weiterhin bezahlt würden wird angenommen, dass Pensionierte diese Zuschüsse weiterhin erhalten würden. So würden alleine durch die Pensionskasse schätzungsweise 2.4 Mio. CHF jährlich in die Talgenossenschaft zurückfliessen. Interessanterweise entspricht der schweizweit minimale monatliche AHV-Beitrag pro Person aktuell gerade etwa dem Betrag von rund 1'100 CHF, welcher in der Talgenossenschaft durchschnittlich pro Person für den Lebensunterhalt nach Aussen fliessen würde.
Auf diese Art würden die Vorleistungen die Ausgaben der Genossenschaftsmitglieder ausserhalb des Tals mehr als decken. So bleibt noch folgende Frage offen: Bedeutet dies, dass die Arbeitstätigen zugunsten der Nicht-Arbeitstätigen arbeiten? Die einfache Antwort darauf lautet ja, denn im Grunde genommen trifft dies auch im heutigen Modell zu. Die Wichtigkeit von Haushalt und Kindererziehung ist nämlich auch in der Talgenossenschaft nicht wegzudenken und soll neben den «herkömmlichen» Erwerbstätigkeiten genauso als Arbeit oder Beitrag für die Gemeinschaft betrachtet werden.
Was passiert aber mit der anderen Hälfte des durchschnittlichen steuerbaren Einkommens? Auch diese Frage lässt sich relativ einfach beantworten. Die mit der Talgenossenschaft einhergehende subsistenzwirtschaftlichere Lebensweise beutetet hauptsächlich, dass mehr Produkte, Arbeiten und Leistungen innerhalb der Gemeinschaft bezogen werden. Die hat zu Folge, dass jedes Mitglied einen Anspruch auf jene materiellen und immateriellen Güter haben müsste, die aus der Talgenossenschaft stammen und die es für sein Lebensunterhalt braucht. Kommt die Genossenschaft als Gemeinschaft diesem Anspruch nach, stellt dies den zweiten, nicht monetären Teil eines bedingungslosen Einkommens dar.
Doch wenn jede und jeder ein Anrecht auf sämtliche Güter hat, wie behält man in der Talgenossenschaft den Überblick? Braucht es dabei ein strenges Kontrollorgan? Grundsätzlich ist anzunehmen, dass es jedem Mitglied freisteht, wieviele Güter es für sich beziehen will. Das grosse Mass an Überschaubarkeit der Ortschaften bildet eine der Bedingungen dafür, denn da sich fast alle Bewohner*innen untereinander kennen, ist davon auszugehen, dass dabei wenige bis keine Mitglieder einen Anreiz haben, dieses System zugunsten des eigenen Profits auszunützen. Zudem wird angenommen, dass es im Interesse jedes Genossenschafters*in sein sollte, den Erhalt der Talgenossenschaft zu gewährleisten, um so den eigenen Lebensstandard zu erhalten. Dasselbe Interesse gilt womöglich genauso für den Erhalt der Arbeitsmotivation der Genossenschafter*innen. An dieser Stelle soll kurz auf einige offene Fragen hingewiesen werden, welche mit der Talgenossenschaft miteinhergehen.
Allgemein bleibt die Frage im Raum stehen, ob das genossenschaftliche Modell den Rheinwaldner*innen erlauben könnte, weniger zu arbeiten. Da das Arbeitspensum grundsätzlich jedem selbst überlassen und in Rheinwald oft mit saisonalen Faktoren verbunden ist, soll dies nicht genauer definiert werden. Allerdings kann davon ausgegangen werden, dass eine Senkung des Arbeitspensums grundsätzlich möglich wäre und keine markanten Differenzen in der Endrechnung bewirken würde. Zudem wurde nicht definiert, ob es neben den Verantwortungen gegenüber der Talgenossenschaft den Mitgliedern freistehen sollte, einer Erwerbstätigkeit ausserhalb dieser Entität nachgegen zu können, wenn dies zeitlich möglich wäre. Sofern stets den Interessen der Talgenossenschaft und somit der Gemeinschaft Vorrang gegeben wird, spricht nichts gegen diese Vorstellung.
ELF COMMONS FÜR RHEINWALD – Wichtig zu erwähnen ist, dass bei einem gemeinschaftlichen Modell die geteilten Güter nicht zwingend Verzicht mit sich bringen müssen. Denn im Gegenteil zum Individuum und seinen privaten Gütern kann sich eine Gemeinschaft nicht nur höhere Standards oder bessere Qualität hinsichtlich Infrastrukturen und Technologien leisten, sondern sie kann diese Gemeingüter oftmals auch intensiver und somit wirtschaftlicher auslasten. Entscheidend ist dabei nur der Wille, manche Güter zu teilen und weiter die Überwindung der administrativen Herausforderungen, welche eine gemeinsame Benutzung mit sich bringen.
Grundsätzlich ist anzunehmen, dass wie bei ihrer Benutzung, bei sämtlichen Commons die Besitzverhältnisse auf gemeinschaftlicher Basis aufbauen. In anderen Worten formuliert befinden sich sämtliche Güter in rechtlichem Besitz der Talgenossenschaft und somit aller sechshundert Genossenschaftsmitglieder*innen. Gerade hinsichtlich Immobilien oder Fahrzeugen scheint ein solcher Gedanke verglichen mit den heutigen Verhältnissen äusserst provokativ. Dennoch lässt sich feststellen, dass in Rheinwald aktuell kaum jemand in materiellem Überfluss verglichen mit anderen lebt.
Die gemeinschaftliche Benutzung der Güter muss an dieser Stelle relativiert werden. Manche Infrastrukturen oder Maschinen erfordern womöglich eine bestimmte Ausbildung oder Fachwissen. Dementsprechend müssen diese von Genossenschaftsmitglieder*innen betrieben und unterhalten werden, die die nötigen Voraussetzungen mit sich bringen. Dennoch sollte der Zugang zu solchen Gütern für die gesamte Gemeinschaft möglich sein um nicht ausschliesslich die notwendige Transparenz zu gewähren, sondern auf diese Weise Gemeinschaftsorte zu generieren, welche eine soziale Interaktion ermöglichen
Neben dem ökonomischen Zweck nehmen alle Commons eine vielschichtige Rolle innerhalb der Talgenossenschaft ein. Ein wichtiger Bestandteil dieser Rolle sollte sein, dass den Commons eine repräsentative Komponente zugewiesen wird. Dies scheint nicht zuletzt für die Identifikation der Genossenschafter*innen mit dem Gemeinschaftsmodell wichtig zu sein. Weiter können Commons auch Orte schaffen, die Raum für soziale Interaktion anbieten. Diese gemeinschaftlichen Treffpunkte können zum einen physischer Natur sein, indem soziale Interaktion im physischen und somit architektonisch-räumlichen Kontext stattfindet. Sie können aber auch einen digitalen Raum bedeuten, in dem zum Beispiel das Kommunizieren der Nachfrage nach benötigten Gütern oder Leistungen und deren Angebot stattfinden kann. Ein solches internes Netzwerk, über das ein grosser Teil der administrativen Arbeit und des dabei notwendigen Austauschs stattfindet, ist Hauptbestandteil des ersten von insgesamt elf Commons, die für die Talgenossenschaft Rheinwald definiert wurden.
41 Errechnet aufgrund von Zahlen in Duschletta und Rizzi 2019, S. 24 ff.
42 Ein ähnliches Modell lässt sich bei Mähdreschern beobachten, welche sehr teuer in der Anschaffung sind und während den Erntezeiten maximale Auslastungen verzeichnen. Danke an den Autoren Marcel Hänggi für diesen Hinweis.
43 Siehe hierzu Kovce und Priddat 2019, S. 11 ff.
In diesem Abschnitt wird ausführlicher auf den Aufbau und die eigentliche Funktionsweise der Talgenossenschaft eingegangen. Es sollen einige offene Fragen geklärt und Eckpunkte dieses hypothetischen Modells definiert werden. Manche gesetzlichen Grundlagen stehen für die Genossenschaft als Rechtsform fest, andere Parameter werden wiederum als Teil dieser These entwickelt.
Eine Genossenschaft setzt sich rechtlich aus drei Organen zusammen. Zum einen die Generalversammlung, an der jedes Genossenschaftsmitglied teilnehmen können und die in diesem Fall alle rund 490 volljährigen Einwohner*innen von Rheinwald umfassen würde. Ein weiteres Organ ist der Verwaltungsrat, der mindestens drei gewählte Genossenschafter*innen zählen muss. Für eine gemeindeweite Genossenschaftsform würde es womöglich Sinn ergeben, dass dieser Rat einen Vertreter pro Interessensbereich zählt. Anders als bei einer konventionellen Verteilung von Gemeindeämtern, würden diese Ämter für die Talgenossenschaft nach Interessenvertretung von verschiedenen lokalen wirtschaftlichen und administrativen Bereichen festgelegt. Demnach würde sich der Verwaltungsrat aus je einem Vertreter von Gemeindeinfrastruktur, Bildung, privaten Haushalten, Bauwesen und Handwerkern, Gastronomie und Hotellerie, Viehwirtschaft, Ackerbau und letztlich administrativen Stellen zusammensetzen und so acht Mitglieder zählen. Letztendlich ist für die Gründung einer Genossenschaft eine Kontrollstelle notwendig, die zur Aufsicht als drittes Organ mindestens 10% der Genossenschafter*innen vertreten sollte.
Der verwaltende Apparat der Talgenossenschaft unterscheidet sich somit nicht sonderlich von einem herkömmlichen Gemeindeorganigramm. Die drei Organe der Genossenschaft würde demzufolge die Aufgaben der Gemeindeversammlung, des Gemeindevorstands sowie der Geschäftsprüfungskommission übernehmen.
Allgemein gelten die Statuten der Genossenschaft, welche von der Generalversammlung festgelegt und nach Bedarf geändert oder genehmigt werden müssen. Die Statuten beinhalten unter anderem Bestimmungen zu Genossenschaftskapital und Anteilscheinen oder zum Beispiel zu Eintritten in die Organisation. Für die Talgenossenschaft würden diese Bestimmungen wohl auch Punkte wie die Entlohnung der Genossenschaftler*innen oder die Besitzverhältnisse innerhalb der Organisation beinhalten.
DER ZWECK DER GENOSSENSCHAFT – In erster Linie wurde in dieser Arbeit die Hypothese aufgestellt, dass durch die Talgenossenschaft eine finanzielle Eigenständigkeit von Rheinwald ohne Agrarsubventionen erreicht werden könnte. Dies bedeutet, dass es das im dritten Kapitel errechnete Defizit von rund anderthalb Millionen Schweizer Franken zu decken gilt. Doch wie realistisch ist dieses Szenario und wie liesse es sich umsetzen?
Die grössten Auswirkungen hat auf dem ersten Blick ein Wandel im betrieblichen Teil der Berechnung, zumal es sich dort um teilweise beträchtliche Beträge handelt. Dies betrifft sowohl den betriebswirtschaftlichen Teil als auch die kommunale Geschäftstätigkeit. An dieser Stelle stehen mehrere Wege zur Auswahl, welche eine Minderung des Defizits bewirken könnten. Jeder von ihnen hat entsprechende Auswirkungen auf die Wirtschaftsweise von Rheinwald und steht in einem anderen Verhältnis zu Suffizienz und Subsistenz.
Ein erster möglicher Weg stellt eine Maximierung der Erträge im betriebswirtschaftlichen Teil dar. Dies würde bedeuten, dass die lokalen Betriebe unter dem Markenzeichen der Talgenossenschaft Rheinwald mehr Aufträge ausserhalb der Gemeinschaft ausführen, mehr Produkte exportieren oder diese teurer vermarkten müssten. Bei den in Rheinwald hergestellten Produkten und Zertifikationen handelt es sich zweifelsfrei um qualitativ hochwertige Erzeugnisse, allem voran was Fleisch- und Milchprodukte oder Backwaren betrifft, deren Nachfrage und Vermarktung hauptsächlich in urbaneren Räumen besteht und stattfindet. Allerdings würde dieses Modell auch die Aufwände steigern, sowohl finanziell als auch was die Arbeit betrifft. Womöglich müsste alleine schon in die für dieses Szenario notwendige Vermarktung massgeblich investiert werden, um die erforderliche Nachfrage auch tatsächlich zu vergrössern. Problematisch an dieser Strategie ist aber vor allem, dass sie nur bedingt mit einer höheren Suffizienz vereinbar ist, weil sie mit einem wirtschaftlichen Wachstum einhergeht. Das Scheitern einer solchen Wachstumsstrategie lässt sich aktuell beim defizitären Bergbahnbetrieb beobachten, an dessen wirtschaftlichen Erfolg auch ein beträchtlicher Anteil der Rheinwaldner*innen nicht mehr wirklich glaubt.
Eine Alternative zu diesem ersten Weg wäre eine massive Reduktion der finanziellen Aufwände auf das Notwendigste. Diese Strategie würde zwar die Erträge massiv vermindern, für die Haushaltsrechnung würde das Modell aber bedeuten, dass man möglicherweise ohne Defizit wirtschaften könnte. Doch auch ein solcher Lösungsweg könnte gewisse Konsequenzen mit sich ziehen. Es besteht nämlich die Gefahr, sich von den umliegenden Marktwirtschaften und auch von der Gesellschaft gänzlich abzugrenzen. Dies entspräche einem Phänomen, welches man eher mit einer autonomen Kommune in Verbindung bringt als mit einer Gemeinde, die als Genossenschaft auftritt. Zudem scheint ein solches Modell mit den geschichtlichen und bestehenden Strukturen in Rheinwald kaum kompatibel zu sein. Auch würde ein bedeutender Rückbau in der lokalen Forst- und Landwirtschaft zu einer teilweisen Vergandung führen und so Konsequenzen für die Erhaltung der Kulturlandschaft sowie die Eindämmung von Naturgefahren mit sich bringen.
Die Talgenossenschaft sollte also weder ein übermässiges Wachstum anstreben, noch die Bestrebungen einer Aussteigerkolonie verfolgen. Viel eher sollte sie einen Zwischenweg wählen. Ein Modell, dass sich durch eine engere Kooperation und eine optimierte Ausnützung vorhandener Potenziale auszeichnet.
Bei näherer Betrachtung der Haushaltsrechnung lässt sich ein erster, nicht geringfügiger Kostenpunkt in der Landwirtschaft finden. Auffällig ist diesbezüglich vor allem der heutige Maschinenpark, den jeder einzelne Betrieb besitzt und bei dem, im Gegensatz zu Weiden und Milchverarbeitung, weitaus weniger Wert auf Kooperation gesetzt wird. Dementsprechend trifft diese Überausstattung auch bei einigen Einwohner*innen auf Unverständnis – in erster Linie bei jenen, die nicht in der Landwirtschaft tätig sind. Doch welche ökonomische Bedeutung hat eine stärkere Zusammenarbeit in diesem Bereich? Womöglich liesse sich durch einen gemeinschaftlichen Maschinenpark eine Reduktion der jährlichen Kosten um rund zwei Drittel erzielen, was schätzungsweise einer Million Schweizer Franken Einsparungen entspräche.41 Zwar wäre es eine nicht unwesentliche administrative Aufgabe, eine auf einen Drittel des heutigen Maschinenparks geschrumpfte Infrastruktur reibungslos zu betreiben, gleichzeitig würde eine solche gemeinschaftliche Strategie einer Anschaffung modernerer, effizienterer Maschinen nicht im Weg stehen.42 Womöglich würde sie diese höheren Standards sogar erfordern, zumal die jeweiligen Maschinen stärker ausgelastet würden.
Ein weiterer auffälliger Punkt ist im Tourismusbereich deutlich sichtbar. In der aktuellen Rechnung wird mit dem Bergbahnbetrieb ein Defizit von rund 0.9 Mio. CHF verbucht. Dessen Kompensierung durch die Eingliederung in die Talgenossenschaft und durch eine Reduzierung der Geldflüsse, sowohl beim Umsatz als auch bei den Vorleistungen, wird in diesem Szenario angenommen. Ziel ist dabei ein Modell, bei dem sich die Talgenossenschaft finanziell nicht abhängig vom Bergbahnbetrieb macht. Dies scheint unter anderem auch deshalb wichtig zu sein, weil unsichere Winter und allgemeine klimatische Trends den Skitourismus je länger wie mehr zu risikobehafteten Unternehmungen machen.
Die momentane monokulturelle Bewirtschaftung des Landes wirft an dieser Stelle eine weitere Frage auf. Liesse sich das an einer anderen Stelle dieser Arbeit erwähnte Potenzial von Ackerbau umsetzen, würde dieses zwar nicht massgebende Gewinne generieren, was aber auch nicht das Ziel neuer Aktivitäten in der Talgenossenschaft sein sollte. Die Bewirtschaftung der genossenschaftlichen Ackerflächen würde einerseits auf gemeinschaftlicher Basis beruhen. Andererseits würden diese auf bereits bestehenden Weideflächen stattfinden, was demnach bedeuten würde, dass nur geringfügig mehr Arbeit dadurch generiert würde. Womöglich würde der Ackerbau einen geringen Rückgang in der Milchwirtschaft oder eine stärkere Bewirtschaftung von steileren Weiden nach sich ziehen. Dennoch könnte durch die Verarbeitung der aus dem Ackerbau stammenden Produkte eine neue Wertschöpfung entstehen, die sich sowohl für eine höhere Subsistenz, als auch zur Vermarktung eignet.
Diese intensivere Fokussierung auf landwirtschaftliche Aktivitäten wäre, mit Hilfe der Verschiebung der Arbeitsplätze vom Dienstleistungssektor, durch die erwähnte und wohl unumgängliche Reduzierung im Skitourismus überwindbar.
Es fällt bei genauerer Betrachtung der Haushaltsrechnung auf, dass Senkungen von privaten Ausgaben das Defizit nur sehr begrenzt beeinflussen. Dies bedeutet gleichzeitig für die Genossenschaftsmitglieder, dass sie ein ähnlicher Lebensstandard beibehalten könnten. Dennoch sind einige Einsparungen möglich und wären hinsichtlich einer höheren Subsistenz gar sinnvoll. Gerade was die Lebensmittelbeschaffung betrifft, gibt es Anzeichen dafür, dass ein eigenständigerer Weg realistisch wäre. Zum einen durch einen genossenschaftseigenen Ackerbau, zum anderen wäre eine stärkere Selbstversorgung der lokalen Bevölkerung durch Gemüseanbau in bereits bestehenden Privatgärten denkbar. In einigen dieser Gärten scheint der Ertrag um einiges höher zu sein, als von deren Eigentümer*innen wirklich gebraucht wird. So liegt es auf der Hand, diese Überschüsse über ein lokales Tauschsystem für die Gemeinschaft bereitzustellen.
Ein letzter Punkt, der im privaten Bereich zukunftsweisend zu sein scheint, betrifft die Mobilität. Es stellt sich in diesem Bereich die Frage, ob und wie sich die Gebundenheit der Rheinwaldner*innen an das Automobil und die stündlichen Postautokurse effizienter lösen oder zumindest flexibilisieren liesse. Dabei kommen Konzepte wie «car-sharing» oder Mitfahrgelegenheiten ins Spiel, sei dies zwischen den Ortschaften innerhalb der Talgenossenschaft oder ferner, aus dem Tal hinaus. Mobilität würde demnach zu einem Gemeingut, bei dem zugleich private Kosten eingespart werden könnten. Gleichzeitig würde ein solches Konzept im Rahmen dieses überschaubaren Kontexts einen zusätzlichen Raum für soziale Interaktion bilden, zumal eine gewisse Familiarität vor Ort schon vorhanden ist.
DAS BEDINGUNGSLOSE GRUNDEINKOMMEN43 – Welche Auswirkungen oder gar Vorteile hätte die Talgenossenschaft im Alltag der Rheinwaldner*innen? Welche Gründe hätten sie zum Beispiel, um weiterhin einer Tätigkeit nachzugehen? Ein Modell, dass sich an das bedingungslose Grundeinkommen anlehnt, lässt sich aufgrund der Überschaubarkeit der Entität der Talgenossenschaft kurz gefasst so erklären. Bei einem erneuten Blick auf die Berechnungen in Kapitel drei lässt sich feststellen, dass knapp mehr als die Hälfte des durchschnittlichen steuerbaren Einkommens in Rheinwald für Leistungen ausserhalb des Tals benötigt wird. Da, wie vorhin erwähnt, der Lebensstandard erhalten bleiben soll, müsste die Genossenschaft diese Ausgaben jedem Mitglied monetär auszahlen, damit diese wiederum ihre Kosten lückenlos decken können. Die Talgenossenschaft stellt somit einen monetären Teil eines bedingungslosen Grundeinkommens für jedes Mitglied bereit.
Um zu überprüfen, ob diese Rechnung aufgehen würde, müssen die eigentlichen Vorleistungen, die innerhalb der Genossenschaft bleiben, mit der jährlichen Summe an Lohngeldern, die für den Lebensunterhalt aus dem Tal fliessen, abgeglichen werden.
Auf diese Weise würden jedoch die Vorleistungen, welche in Rheinwald bleiben, die jährlichen Ausgaben der Privaten nicht decken. Ein Grund dafür ist, dass die betriebliche Spalte nur die knapp mehr als 250 Beschäftigten in Rheinwald umfasst. Nicht aufgelisteten sind jedoch Nicht-Erwerbstätige, Kinder und Pensionierte. Diese entsprechen in ihrer Anzahl den rund 350 fehlenden Einwohnern von Rheinwald.
Auch nicht miteinberechnet sind an dieser Stelle die AHV-Beiträge der rund 170 pensionierten Einwohnerinnen und Einwohner. Da Steuern an Bund und Kanton, sowie Beiträge an Sozialversicherungen im Genossenschaftsmodell weiterhin bezahlt würden wird angenommen, dass Pensionierte diese Zuschüsse weiterhin erhalten würden. So würden alleine durch die Pensionskasse schätzungsweise 2.4 Mio. CHF jährlich in die Talgenossenschaft zurückfliessen. Interessanterweise entspricht der schweizweit minimale monatliche AHV-Beitrag pro Person aktuell gerade etwa dem Betrag von rund 1'100 CHF, welcher in der Talgenossenschaft durchschnittlich pro Person für den Lebensunterhalt nach Aussen fliessen würde.
Auf diese Art würden die Vorleistungen die Ausgaben der Genossenschaftsmitglieder ausserhalb des Tals mehr als decken. So bleibt noch folgende Frage offen: Bedeutet dies, dass die Arbeitstätigen zugunsten der Nicht-Arbeitstätigen arbeiten? Die einfache Antwort darauf lautet ja, denn im Grunde genommen trifft dies auch im heutigen Modell zu. Die Wichtigkeit von Haushalt und Kindererziehung ist nämlich auch in der Talgenossenschaft nicht wegzudenken und soll neben den «herkömmlichen» Erwerbstätigkeiten genauso als Arbeit oder Beitrag für die Gemeinschaft betrachtet werden.
Was passiert aber mit der anderen Hälfte des durchschnittlichen steuerbaren Einkommens? Auch diese Frage lässt sich relativ einfach beantworten. Die mit der Talgenossenschaft einhergehende subsistenzwirtschaftlichere Lebensweise beutetet hauptsächlich, dass mehr Produkte, Arbeiten und Leistungen innerhalb der Gemeinschaft bezogen werden. Die hat zu Folge, dass jedes Mitglied einen Anspruch auf jene materiellen und immateriellen Güter haben müsste, die aus der Talgenossenschaft stammen und die es für sein Lebensunterhalt braucht. Kommt die Genossenschaft als Gemeinschaft diesem Anspruch nach, stellt dies den zweiten, nicht monetären Teil eines bedingungslosen Einkommens dar.
Doch wenn jede und jeder ein Anrecht auf sämtliche Güter hat, wie behält man in der Talgenossenschaft den Überblick? Braucht es dabei ein strenges Kontrollorgan? Grundsätzlich ist anzunehmen, dass es jedem Mitglied freisteht, wieviele Güter es für sich beziehen will. Das grosse Mass an Überschaubarkeit der Ortschaften bildet eine der Bedingungen dafür, denn da sich fast alle Bewohner*innen untereinander kennen, ist davon auszugehen, dass dabei wenige bis keine Mitglieder einen Anreiz haben, dieses System zugunsten des eigenen Profits auszunützen. Zudem wird angenommen, dass es im Interesse jedes Genossenschafters*in sein sollte, den Erhalt der Talgenossenschaft zu gewährleisten, um so den eigenen Lebensstandard zu erhalten. Dasselbe Interesse gilt womöglich genauso für den Erhalt der Arbeitsmotivation der Genossenschafter*innen. An dieser Stelle soll kurz auf einige offene Fragen hingewiesen werden, welche mit der Talgenossenschaft miteinhergehen.
Allgemein bleibt die Frage im Raum stehen, ob das genossenschaftliche Modell den Rheinwaldner*innen erlauben könnte, weniger zu arbeiten. Da das Arbeitspensum grundsätzlich jedem selbst überlassen und in Rheinwald oft mit saisonalen Faktoren verbunden ist, soll dies nicht genauer definiert werden. Allerdings kann davon ausgegangen werden, dass eine Senkung des Arbeitspensums grundsätzlich möglich wäre und keine markanten Differenzen in der Endrechnung bewirken würde. Zudem wurde nicht definiert, ob es neben den Verantwortungen gegenüber der Talgenossenschaft den Mitgliedern freistehen sollte, einer Erwerbstätigkeit ausserhalb dieser Entität nachgegen zu können, wenn dies zeitlich möglich wäre. Sofern stets den Interessen der Talgenossenschaft und somit der Gemeinschaft Vorrang gegeben wird, spricht nichts gegen diese Vorstellung.
ELF COMMONS FÜR RHEINWALD – Wichtig zu erwähnen ist, dass bei einem gemeinschaftlichen Modell die geteilten Güter nicht zwingend Verzicht mit sich bringen müssen. Denn im Gegenteil zum Individuum und seinen privaten Gütern kann sich eine Gemeinschaft nicht nur höhere Standards oder bessere Qualität hinsichtlich Infrastrukturen und Technologien leisten, sondern sie kann diese Gemeingüter oftmals auch intensiver und somit wirtschaftlicher auslasten. Entscheidend ist dabei nur der Wille, manche Güter zu teilen und weiter die Überwindung der administrativen Herausforderungen, welche eine gemeinsame Benutzung mit sich bringen.
Grundsätzlich ist anzunehmen, dass wie bei ihrer Benutzung, bei sämtlichen Commons die Besitzverhältnisse auf gemeinschaftlicher Basis aufbauen. In anderen Worten formuliert befinden sich sämtliche Güter in rechtlichem Besitz der Talgenossenschaft und somit aller sechshundert Genossenschaftsmitglieder*innen. Gerade hinsichtlich Immobilien oder Fahrzeugen scheint ein solcher Gedanke verglichen mit den heutigen Verhältnissen äusserst provokativ. Dennoch lässt sich feststellen, dass in Rheinwald aktuell kaum jemand in materiellem Überfluss verglichen mit anderen lebt.
Die gemeinschaftliche Benutzung der Güter muss an dieser Stelle relativiert werden. Manche Infrastrukturen oder Maschinen erfordern womöglich eine bestimmte Ausbildung oder Fachwissen. Dementsprechend müssen diese von Genossenschaftsmitglieder*innen betrieben und unterhalten werden, die die nötigen Voraussetzungen mit sich bringen. Dennoch sollte der Zugang zu solchen Gütern für die gesamte Gemeinschaft möglich sein um nicht ausschliesslich die notwendige Transparenz zu gewähren, sondern auf diese Weise Gemeinschaftsorte zu generieren, welche eine soziale Interaktion ermöglichen.
Neben dem ökonomischen Zweck nehmen alle Commons eine vielschichtige Rolle innerhalb der Talgenossenschaft ein. Ein wichtiger Bestandteil dieser Rolle sollte sein, dass den Commons eine repräsentative Komponente zugewiesen wird. Dies scheint nicht zuletzt für die Identifikation der Genossenschafter*innen mit dem Gemeinschaftsmodell wichtig zu sein. Weiter können Commons auch Orte schaffen, die Raum für soziale Interaktion anbieten. Diese gemeinschaftlichen Treffpunkte können zum einen physischer Natur sein, indem soziale Interaktion im physischen und somit architektonisch-räumlichen Kontext stattfindet. Sie können aber auch einen digitalen Raum bedeuten, in dem zum Beispiel das Kommunizieren der Nachfrage nach benötigten Gütern oder Leistungen und deren Angebot stattfinden kann. Ein solches internes Netzwerk, über das ein grosser Teil der administrativen Arbeit und des dabei notwendigen Austauschs stattfindet, ist Hauptbestandteil des ersten von insgesamt elf Commons, die für die Talgenossenschaft Rheinwald definiert wurden.
41 Errechnet aufgrund von Zahlen in Duschletta und Rizzi 2019, S. 24 ff.
42 Ein ähnliches Modell lässt sich bei Mähdreschern beobachten, welche sehr teuer in der Anschaffung sind und während den Erntezeiten maximale Auslastungen verzeichnen. Danke an den Autoren Marcel Hänggi für diesen Hinweis.
43 Siehe hierzu Kovce und Priddat 2019, S. 11 ff.